An der Fundstelle "Gerhardsseifen" bei Siegen-Niederschelden konnten jetzt Nachweise dieser Siegerländer Eisenverhüttung freigelegt werden. Hier haben Archäologen des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) und des Deutschen Bergbau-Museums Bochum sowie der Ruhr-Universität Bochum in einem Kooperationsprojekt gleich zwei gut erhaltene Verhüttungsöfen ausgegraben. In direkter Nachbarschaft fanden sie zudem ein Schmiedeareal und große Mengen an Schlacken, die beim Verhüttungsprozess entstanden sind.
Im 2. oder 1. Jahrhundert vor Christus wurde am Fundplatz eine Terrasse angelegt, in die ein Ofen zur Verhüttung eingebaut wurde. Diese wurden mit einem Gemisch aus Lehm, Ton und Spreu gebaut und im Inneren wurde Eisenerz verhüttet. Am Boden des Ofens sammelte sich im Prozess Schlacke und schmiedbares Eisen. Von einem Ofen in Siegen haben sich nur die Fundamente der Ofenwand erhalten. Auffällig ist, dass dieser Ofen offenbar nach kurzer Zeit aufgegeben und durch eine neue Anlage weiter oben auf der Terrasse ersetzt wurde. Diese Anlage ist heute noch fast vollständig erhalten. "Wahrscheinlich mussten die eisenzeitlichen Hüttenleute den älteren Ofen zwangsweise aufgeben", so Dr. Jennifer Garner vom Deutschen Bergbau-Museum Bochum. "Unsere Ausgrabungen konnten klar nachweisen, dass bei nasser Witterung und vor allem während starker Niederschläge die Hüttenleute sprichwörtlich nasse Füße bekamen. Wahrscheinlich wurde dadurch auch der ältere Ofen beschädigt."
Zwischen dem älteren und dem jüngeren Ofen befindet sich ein Schmiedebereich der eisenzeitlichen Handwerker. Untersuchungen an den hier zahlreich erhaltenen Schlacken beweisen, dass große Mengen Stahl erzeugt und auch verarbeitet wurden. In einem archäologischen Experiment haben die Wissenschaftler in den Jahren 2017 bis 2018 einen Nachbau eines Siegener Ofens getestet. Das erstaunliche Ergebnis war, dass die eisenzeitlichen Öfen sogar ohne Unterbrechung wochenlang betrieben werden konnten. "Das ist eine bemerkenswerte Erkenntnis für unser Wissen über die Verhüttung", so Dr. Manuel Zeiler von der LWL-Archäologie für Westfalen, "denn bislang galt eine kontinuierliche Prozessführung in der Eisenverhüttung als eine Erfindung des Hochmittelalters." Tatsächlich ging mit Ende der keltischen Zivilisation am Ausgang der Eisenzeit auch die innovative Verhüttungstechnologie verloren. Zudem erlebte das Siegerland einen starken Rückgang der Bevölkerung. Eine Neubesiedlung erfolgte erst 700 Jahre später. Erst dann begannen Bergleute dort wieder Erze zu schürfen und zu verhütten.
Die mittelalterlichen Hüttenleute bauten im 9. oder 10. Jahrhundert nach Christus am Gerhardsseifen erneut Öfen und fügten dem Verhüttungsprozess auch Schlacken aus der Eisenzeit zu. "Von Bedeutung ist aber, dass die mittelalterlichen Öfen im Vergleich zu den eisenzeitlichen Vorläufern ein klarer technologischer Rückschritt waren", erläutert Garner. Damit zeigt die Fundstätte am "Gerhardsseifen" nicht nur außergewöhnlich gut erhaltene Zeugen des Erfindungsreichtums der Eisenzeit, sondern führt auch Umbrüche der Technikgeschichte vor Augen.
Die gute Erhaltung nicht nur der eisenzeitlichen, sondern auch der mittelalterlichen, Verhüttungswerkstatt ist international einzigartig. Bereits 2012 hatte es an dieser Stelle Grabungen gegeben und die Bedeutung wurde schon damals erkannt. Aus diesem Anlass wurde auf Initiative der Waldgenossenschaft sowie der Heimatgruppe Niederschelden und dem Heimatbund Siegen-Wittgenstein beschlossen, die archäologischen Strukturen zu erhalten und in einem Schutzbau langfristig der Öffentlichkeit zu präsentieren. Dieses Vorhaben wurde maßgeblich vom Trägerverein "Ein Siegerländer Tal e.V.", der Stadt Siegen und dem Kreis Siegen-Wittgenstein vorangetrieben. Mit Unterstützung von der NRW-Stiftung sowie von Sponsoren der heimischen Wirtschaft werden an die archäologischen Maßnahmen noch dieses Jahr Konservierungsarbeiten und die Errichtung eines Schutzbaus über die ausgegrabenen Öfen anschließen.