"Wir haben hier den Grenzbereich einer Siedlung erfasst", erklärt die LWL-Stadtarchäologin Dr. Sveva Gai. "Die Funde lassen die Siedlungsreste in die Zeit zwischen dem 10. und dem 14. Jahrhundert datieren." Bei den Funden handelt es sich hauptsächlich um Reste von Keramikgefäßen und Tierknochen sowie kleine Metallfunde, die erst nach der Restaurierung ausgewertet werden. Aus der Zeit nach dem 14. Jahrhundert gibt es nur noch Funde, die eine Nutzung des Geländes als Grünfläche belegen. Das deutet daraufhin, dass der Siedlungsplatz aufgegeben wurde. "Wir haben es hier mit einer sogenannten Wüstung zu tun", meint Till Lodemann, wissenschaftlicher Volontär bei der LWL-Archäologie für Westfalen. "Ein von seinen Bewohnern verlassener Ort."
Die Forscher legten unter anderem einen zirka acht Meter breiten Hausgrundriss frei, der sich in Nord-Süd-Richtung erstreckt. Seine Ausdehnung konnte im Osten nicht vollständig erfasst werden, da er zum Teil von einer Straße überdeckt ist. Die Mauer besteht aus Bruchkalkstein, und der Fußboden des Innenraums ist aus Lehm. Etwas nordwestlich des Kalksteinbaus kam ein 3,30 mal 4,50 Meter großes Grubenhaus zu Tage. Diese Gebäude waren in den Boden eingetieft und wurden hauptsächlich als Werkstätten genutzt. "Darin fanden sich sehr viele Reste von verziegeltem Lehm", erläutert LWL-Archäologin Gai. Das heißt: der Lehm war so hohen Temperaturen ausgesetzt, dass er anfing auszuhärten, ähnlich einem Ziegelstein. Ursprünglich waren die Lehmreste die Wände des Grubenhauses gewesen. "Offenbar war das Haus einem größeren Feuer ausgesetzt", so Gai weiter. Auch Fragmente von Keramik fanden sich in diesem Bereich.
Daneben konnten auf der Grabungsfläche weitere dunkle Verfärbungen dokumentiert werden, die auf Gruben hinweisen. Holzkohlepartikel und Keramikfunde deuten darauf hin, dass es sich um mittelalterliche Gruben zur Entnahme von Lehm und zur Entsorgung von Abfall gehandelt hat. Auch die Reste weiterer Grubenhäuser sind denkbar.
Weiter im Westen befindet sich ein Nord-Süd verlaufender Graben, der zum Großteil erst nach dem Spätmittelalter zugeschüttet wurde. Hier floss bis in die Neuzeit ein Bach in die Pader. Laut Lodemann bestätigt sich dadurch, dass es sich um den Randbereich einer Siedlung handelt: "Der Rest der Siedlung erstreckte sich sehr wahrscheinlich unterhalb der Straße am Kalberdanz und weiter nach Osten." Diese Spuren fielen aber dem Straßenbau zum Opfer.
Bereits im Februar hatte der LWL im betreffenden Gebiet eine archäologische Prospektion durchgeführt. "Der Bereich bietet durch seine Nähe zum Wasser und seine hochwasserfreie Lage auf einer Anhöhe besonders günstige Siedlungsfaktoren," erklärt Gai. Bei den Untersuchungen Anfang des Jahres zeichneten sich schon einige der Befunde ab, die nun freigelegt wurden, darunter der Hausgrundriss aus Kalkstein und das Grubenhaus. "Zudem zeigte sich eine besonders aussagekräftige Funddichte", so Lodemann. "Zahlreiche Funde waren auf der gesamten südlichen Hälfte der Fläche zerstreut, die auf eine intensive Nutzung dieses Platzes im Mittelalter hindeuteten." Die Ausgrabungen haben die Vermutungen der LWL-ArchäologInnen bestätigt.
Aufgrund der Befunddichte und den hoch- bis spätmittelalterlichen Funden ist eventuell ein Zusammenhang mit dem sogenannten Villikationshaupthof Enenhues möglich. Im Mittelalter gab es Verbände aus mehreren kleineren Höfen, sogenannte Villikationen, die einem adligen Herrn unterstanden. Der lebte auf dem Haupthof einer Villikation.
Der Herrenhof namens Enenhues wird zum ersten Mal im Jahr 1036 erwähnt. Bis 1342 taucht er in zahlreichen Schriftquellen auf, bis er urkundlich als verlassen bezeugt ist. Forscher lokalisierten dadurch den Hof zirka 1.250 Meter westlich des Neuhäuser Tors (nördlich der heutigen Bundestraße nach Neuhaus).
Möglicherweise könnte es sich bei den gefundenen Siedlungsresten um den Herrenhof handeln. "Sicher belegen können wir das aber nicht", betont Gai. "Die Entdeckung dieser Siedlung im Westen der Bischofsstadt ist aber dennoch von Bedeutung." Die nun abgeschlossene Grabung ergänze einen weiteren Teil der noch bisher unbekannten Hinterlassenschaften im Paderborner Raum. "Die Grabung liefert neue Anhaltspunkte zur Erforschung der Siedlungslandschaft und Wüstungsprozesse im Umfeld Paderborns", schlussfolgert Gai.
Aktuell widmet sich noch bis zum 1. Dezember eine Sonderausstellung im LWL-Museum in der Kaiserpfalz verlassenen Ortschaften aus dem Mittelalter. "Lost Places - Vergessene Siedlungen im Paderborner Osten" zeigt die Grabungsergebnisse von zwei großen mittelalterlichen Wüstungen aus dem Randgebiet Paderborns und gibt einen Einblick in die Arbeit der Stadtarchäologie.