Aus dem geomagnetischen und topographischen Fingerabdruck des Gebiets geht hervor, dass die erste mongolische Hauptstadt eine deutlich größere Ausdehnung besaß als bisher angenommen. Auch das Verständnis von Gliederung und Infrastruktur der Stadt hat sich grundlegend verändert. Ihre Erkenntnisse hat das Team in der archäologischen Fachzeitschrift Antiquity veröffentlicht. Die Fachzeitschrift Nature würdigte die Veröffentlichung als »Research Highlight« in der Ausgabe vom 11. November 2021.
Während zweier Expeditionen in den Jahren 2016 und 2017 konnten insgesamt etwa 4,7 km2 (eine Fläche von über 650 Fußballfeldern) in und um Karakorum in der zentralen Mongolei kartiert werden. Von der Stadt ist heute nicht mehr viel zu sehen, die Überreste liegen teilweise verborgen unter Ackerland und weiten Steppengebieten. Das am Leibniz-IPHT entwickelte Messsystem macht es möglich, in kurzer Zeit eine große Fläche mit sehr hoher Orts- und Magnetfeldauflösung darzustellen und mithilfe des GPS-Systems topographisch in Relation zu setzen. Das Forschungsteam zieht die Magnetfeldsensoren – sogenannte SQUIDs (Supraleitende Quanten Interferenz Detektoren) – auf einem Anhänger mithilfe eines Jeeps über die Steppenlandschaft. Das Expeditionsteam von Forschenden der Physik aus Jena und der Archäologie aus Bonn konnte durch diese zerstörungsfreie geomagnetische Abtastung anthropogene, über der Erde nicht sichtbare Bodenstrukturen sehr detailliert vermessen.
Hochpräzise Daten liefern neue Erkenntnisse
Die systematische Dokumentation von Karakorum und des direkten Umfelds wirft ein neues Licht auf die Stadtentwicklung in der mongolischen Steppe. In einem Augenzeugenbericht aus dem Jahr 1254 berichtet der Franziskanermönch William von Rubruck von einer geschlossenen Stadt mit vier Toren. Es fehlten bisher Informationen, wie die Stadt über ihre 200-jährige Existenz gegliedert war, welche Wege zu ihr führten und wie sie sich entwickelte. Die Daten aus den Messexpeditionen haben nun gezeigt, dass sich Karakorum über ein weitaus größeres Gebiet erstreckte als bisher vermutet. Die Stadtmauer grenzt eine Fläche von etwa 1,3km2 ein. Um die Stadt herum wurde nun ein erweiterter Siedlungsbereich von etwa 12km2 mit 259 Fundstätten dokumentiert. Auch über ehemalige Verkehrswege und Handelsrouten konnten die Forschenden Schlüsse ziehen. »Durch unsere Messungen hat sich das Bild der Geschichte in ihrer archäologischen Interpretation verändert«, so Ronny Stolz, Leiter der Forschungsabteilung Quantensysteme am Leibniz-IPHT. »Die erste Messung haben wir 2005 in Peru gemacht. Seitdem wurde die Sensorik immer weiter verfeinert und gemeinsam mit dem Bonner Archäologie-Team um Jan Bemmann weiterentwickelt. Die Daten aus den Expeditionen stellen die zukünftige Forschung auf eine sichere Grundlage.«
Das Projekt lebt von der interdisziplinären Zusammenarbeit
Sven Linzen, Physiker in den Arbeitsgruppen Quantenmagnetometrie und Quantenschaltungen am Leibniz-IPHT, war in der Mongolei vor Ort. »Für die Herausforderung, eine Fläche dieses Ausmaßes in der kurzen verfügbaren Zeit zu kartieren, waren einige technologische und organisatorische Hürden zu überwinden. Zum Beispiel mussten wir das Messsystem aufgrund von verbauten Lithium-Akkus über den Landweg nach Asien transportieren und auch das zur Kühlung der Sensoren benötigte flüssige Helium mussten wir aus Deutschland mitbringen«, berichtet er. »Feldmessungen sind aufgrund der klimatischen Bedingungen nur zu bestimmten Zeiten im Jahr möglich. Das Messsystem muss extremen Temperaturschwankungen Stand halten – und nicht zuletzt auch wir Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.« Vor Ort waren die Forschenden im Jurten-Zeltlager untergebracht, wo nicht immer eine Stromversorgung gesichert war. »Zum Glück kommt unser System 24 Stunden ohne Steckdose aus und ist damit in der Feldmessung autonom«, ergänzt der Forscher. »Mit den Archäologinnen und Archäologen aus Bonn arbeiten wir seit vielen Jahren erfolgreich zusammen, um die Expeditionen in der Mongolei vorzubereiten, durchzuführen und auszuwerten. Während der Messungen bis hin zur Interpretation der gesammelten Daten braucht es die enge Zusammenarbeit beider Disziplinen – der Physik wie der Archäologie.«
Karakorum wurde im 13. Jahrhundert zu Zeiten der chinesischen Yuan-Dynastie von Ögödei Kahn, dem Sohn des Begründers des Mongolischen Weltreichs Dschingis Kahn, gegründet und 2004 zum UNESCO Weltkulturerbe bestimmt. Für die zielgerichtete Erforschung der Stadt haben die Forschenden während der Feldexpeditionen große Mengen an Daten gesammelt. Grundlegende Erkenntnisse haben Sven Linzen und Jan Bemmann mit ihren Forschungspartnerinnen und -partnern nun veröffentlicht. Das Datenmaterial wird kontinuierlich weiter ausgewertet. Das Projekt »Karakorum – Geomagnetische Prospektion und topographische Vermessung der ersten Hauptstadt des mongolischen Weltreiches« (2016 – 2019) wurde gefördert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft.
Die Technologie ist vielseitig einsetzbar
Die SQUIDs aus dem Leibniz-IPHT werden in vielen Bereichen eingesetzt – auf der Erde, in der Luft und auch unter Wasser. Etwa, um magnetische Anomalien in der Erdkruste aufzuspüren, um mineralische Lagerstätten zu suchen oder Altlasten im Boden zu identifizieren. Gemeinsam mit der 2001 ausgegründeten Firma Supracon arbeitet das Team von Ronny Stolz daran, das System zu kommerzialisieren, zum Beispiel für den Einsatzbereich der Baugrunderkundung. »Durch die Zusammenarbeit mit Supracon kommt unsere Sensorik flächendeckend zum Einsatz. Ein schönes Beispiel für den gelungenen Transfer wissenschaftlicher Erkenntnisse in die Praxis. In der Forschung arbeiten wir gerade daran, unser Messsystem mithilfe optischer Magnetfeldsensoren weiterzuentwickeln«, gibt der Forschungsabteilungsleiter einen Ausblick.
Publikation
Mapping Karakorum, the capital of the Mongol Empire
Antiquity. 04.11.2021
DOI: 10.15184/aqy.2021.153
https://www.cambridge.org/core/journals/...
Publikation
Maps reveal surprising details of Mongols’ ancient capital
Nature. 04.11.2021
DOI: 10.1038/d41586-021-03013-4
https://www.nature.com/articles/d41586-0...