Wie verbreiten sich religiöse Überzeugungen?
Eine kürzlich in Nature Human Behaviour veröffentlichte Studie nutzt neue computerbasierte Methoden zum Kulturvergleich, um Antworten auf diese Fragen zu finden. Dabei wurde untersucht, wie sich politische Hierarchien, soziale Ungleichheit und Bevölkerungsgröße auf die Verbreitung des Christentums in 70 austronesischen Gesellschaften ausgewirkt haben.
Die austronesischen Gesellschaften teilen eine gemeinsame Ursprache und erstrecken sich über weite Teile der pazifischen Inselwelt von Ostafrika über Südostasien bis in den Südpazifik. Die Christianisierung fand typischerweise im 18. und 19. Jahrhundert statt und die Struktur dieser Gesellschaften reichte damals von sehr kleinen, egalitären Familiengemeinschaften bis hin zu großen, politisch komplexen Gesellschaften wie Hawaii. Einige dieser Gesellschaften konvertierten in weniger als einem Jahr vollständig, bei anderen dauerte dieser Prozess bis zu 200 Jahre. Die Vielfalt der gesellschaftlichen Strukturen und der Konversionsgeschichten macht die austronesischen Gesellschaften zu einem idealen Testfeld für Theorien des kulturellen Wandels.
Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass Kulturen mit politischen Führungsstrukturen oft am schnellsten zum Christentum konvertierten. Dies unterstützt die Annahme eines "Top-down"-Prozesses der Christianisierung, bei dem politische Machthaber und Elitenführer, welche selbst von Missionaren bekehrt wurden, großen Einfluss auf die Verbreitung der christlichen Lehre in ihrem Volk hatten.
Im Gegensatz dazu hatte das Ausmaß der sozialen Ungleichheit innerhalb der Gesellschaften keinen Einfluss auf das Tempo der Christianisierung. Dies stellt eine der populärsten Begründungen für den Erfolg des Christentums in Frage, die von einem "Bottom-up"-Prozess ausgeht. Dieser Prozess, so die Theorie, werde dadurch angestoßen, dass das Christentum die Angehörigen der unteren sozialen Schichten stärkt und ihnen ein besseres Leben nach dem Tod verspricht.
Die Studie zeigt auch, dass sich das Christentum am schnellsten in Gesellschaften mit geringen Bevölkerungszahlen ausgebreitet hat. Dieses Ergebnis trägt dazu bei, die Bedeutung der Bevölkerungsgröße für Prozesse des kulturellen Wandels zu verdeutlichen. "Während die Menschen oft an große Gesellschaften als Innovationsquellen denken, zeigen unsere Ergebnisse, dass größere Gesellschaften neue Ideen auch langsamer aufgreifen können", sagt Erstautor Dr. Joseph Watts, der die Forschung an der School of Psychology der Universität Auckland und am Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte durchgeführt hat. "In einer zahlenmäßig kleinen Bevölkerung wird es wahrscheinlicher, dass Überzeugungen relativ schnell verbreitet werden, insbesondere wenn sie von deren Führern und anderen mächtigen Persönlichkeiten gefördert werden.“
Publikation
Christianity spread faster in small politically structured societies
Nature Human Behaviour. 23.7.2018
DOI: 10.1038/s41562-018-0379-3
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