Tübinger Förderpreis für Urgeschichte erstmals im Bereich Genetik vergeben

Auszeichnung für grundlegende Arbeiten zur Erbgutanalyse der Neandertaler

Das Institut für Ur- und Frühgeschichte und Archäologie des Mittelalters der Universität Tübingen hat heute zum 12. Mal den Tübinger Förderpreis für Ältere Urgeschichte und Quartärökologie verliehen. Der Preisträger Dr. Johannes Krause ist am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig tätig und wird für seine Dissertation von 2008 ausgezeichnet. Erstmals erhält ein Wissenschaftler aus dem Bereich der Genetik den Preis, der mit 5.000 Euro dotiert. Der Förderpreis ist der höchst dotierte jährlich vergebene Preis dieser Art für Archäologen.

Krauses Forschungsarbeiten decken innerhalb der Genetik ein sehr weites Spektrum ab. Neben grundlegenden Beiträgen zur Analysemethodik hat er auch Arbeiten zu den Genomen von Mammuts, Höhlenbären und Menschenaffen, Untersuchungen über das Erbgut von Neandertalern und frühen anatomisch modernen Menschen sowie Arbeiten über die Verwandtschaftsbeziehungen zwischen beiden Menschenformen vorgelegt. Auch zeitlich ist Krauses Forschung breit angelegt. Sie reicht von Untersuchungen an Bären an der Miozän-Pliozän-Grenze vor etwa fünf Millionen Jahren bis zu den letzten Neandertalern und ersten anatomisch modernen Menschen in Europa vor etwa 30.000 Jahren sowie schließlich zu modernen Bären.

Ein zentrales Problem bei fossilen Proben von ausgestorbenen Lebewesen besteht darin, dass die DNA im Laufe der Zeit zerfällt und aus den Bruchstücken rekonstruiert werden muss. Deshalb wird für diesen Schritt häufig die DNA aus bestimmten Zellorganen, den Mitochondrien, verwendet. Diese DNA liegt in jeder Körperzelle in mehreren hundert Kopien vor. Anhand der Untersuchung des mitochondrialen Erbguts ausgestorbener und lebender Bären entwickelte Johannes Krause mit Kollegen eine als "2-Stufen Multiplex PCR" bezeichnete Methode: ein Verfahren, um die Bruchstücke der "Alten DNA" zu vervielfältigen und zu längeren Sequenzen bis hin zum kompletten Genom zusammenzustellen. Diese Methode eignet sich auch dazu, bestimmte Bereiche der Kern-DNA zu erforschen. Von der Kern-DNA gibt es im Unterschied zur mitochondrialen DNA nur wenige Kopien. Krauses Arbeiten stellen somit einen bahnbrechenden Beitrag zur Grundlagenforschung dar.

Ein Schwerpunkt der Forschungen Krauses liegt auf Genuntersuchungen an Neandertalern. Der Nachwuchswissenschaftler ist Teil einer Arbeitsgruppe, die das komplette Neandertaler-Genom entschlüsselt hat. Durch genetische Analysen an Menschenfossilien aus dem russischen Altai-Gebiet konnten diese als Neandertaler identifiziert und somit das bisher bekannte Verbreitungsgebiet dieser Menschenform enorm ausgeweitet werden. Darüber hinaus konnte Krause mit Kollegen zeigen, dass zwei bestimmte evolutionäre Veränderungen im sogenannten Sprachgen FOXP2 sowohl bei Neandertalern als auch bei anatomisch modernen Menschen nachweisbar sind. Diese Änderungen müssen somit noch vor der Aufspaltung in beide Linien stattgefunden haben, was nahelegt, dass Neandertaler wohl eine gut ausgeprägte Sprachfähigkeit besaßen.

Schließlich gelang einer Arbeitsgruppe unter maßgeblicher Beteiligung von Johannes Krause, eine Million Basenpaare der Kern-DNA des Neandertalers darzustellen. Zuvor waren immer nur wenige kurze Abschnitte der Erbinformation, noch dazu nur mitochondriale DNA, entziffert worden. Durch Vergleiche mit den Genomen von anatomisch modernen Menschen und Schimpansen konnte nun gezeigt werden, dass sich die DNA-Sequenzen der Neandertaler und der modernen Menschen vor etwa 500.000 Jahren auseinanderentwickelten. Dieser Nachweis ist ein grundlegender Beitrag zur Klärung der Verwandtschaftsverhältnisse beider Menschenformen.

Der Förderpreis würdigt insbesondere auch die innovativen Ergebnisse von Johannes Krauses Forschung. So konnten etwa einzelne Merkmale der Beschädigung von DNA identifiziert werden, anhand derer sich Alte DNA von modernen Verunreinigungen unterscheiden lässt. Damit konnte unter Krauses Federführung erstmals das komplette mitochondriale Genom eines frühen anatomisch modernen Menschen mit einem Alter von 30.000 Jahren aneinandergefügt werden. Das Erbgut unterscheidet sich signifikant von dem der Neandertaler. Außerdem legen Vergleiche nahe, dass zumindest ein gewisser Grad an genetischer Kontinuität zwischen den frühen anatomisch modernen Menschen in Europa und den heutigen Europäern besteht. Diese Ergebnisse liefern der Forschung weitere Fakten über den Prozess der Besiedlung Europas durch anatomisch moderne Menschen, die Ablösung der Neandertaler und schließlich die Bevölkerungsstruktur frühmoderner Europäer.

Aufgrund seiner herausragenden wissenschaftlichen Leistungen mit der Dissertation "From Genes to Genomes: Applications for Multiplex PCR in Ancient DNA Research" gehört der 29-jährige Johannes Krause bereits jetzt zu den etablierten Forschern auf seinem Gebiet. Der Preisträger stellt seine Arbeiten unter dem Titel "Von Genen zu Genomen. Neues aus der Alten DNA-Forschung" im Rahmen einer Feierstunde auf Schloss Hohentübingen am heutigen 4. Februar vor.

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