Spielend Schriftsysteme erforschen
Die Auswahl der Schriften ist groß: Buginesisch von der indonesischen Insel Sulawesi oder Ogham eine Schrift, die vom 5. bis 7. Jahrhundert in Irland genutzt wurde, oder aus einer ähnlichen Zeit die persische Schreibschrift Psalter Pahlavi. Insgesamt 45 Schriftsprachen sind im Onlinespiel "Glyph" enthalten. Spielende treten dort gegeneinander an, indem sie Buchstabenformen dieser Schriftsysteme in selbst erstellte Kategorien einordnen und dabei Punkte gewinnen. Entwickelt wurde das Spiel von einem Forschungsteam unter der Leitung von Yoolim Kim (Korea-Institut der Harvard Universität und Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte) und Olivier Morin (Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte und Université Paris Sciences et Lettres).
Mit dem Spiel wollen die Forschenden eine Lücke schließen, erklärt Yoolim Kim: "Die Wissenschaft ist gut darin, Dinge zu klassifizieren - Chemiker haben das Periodensystem, Biologen das System der Arten - es gibt sogar Regeln, um Pokémon zu sortieren! Aber für Buchstaben gibt es so etwas nicht - für manche Schriften schon, aber nicht für alle Buchstaben der Welt."
Im Forschungsfeld der visuellen Psychologie, das untersucht wie Dinge, die wir sehen, unser Denken beeinflussen, fehlt derzeit ein Vokabular zur Beschreibung von Buchstabenformen. Bisher wurden Buchstaben hauptsächlich aus der Sicht der Linguistik erforscht, und nur vereinzelte Studien haben ihre Formen und optischen Eigenschaften mit großen Datensätzen untersucht, die die Vielfalt der weltweiten Schriftarten widerspiegeln. Das Forschungsteam hofft, dass die "Glyph"-Anwendung zur Entstehung eines einheitlichen Standards führt, der die Untersuchungen der Schriftsysteme durch Linguisten und Kognitionswissenschaftler vereinen kann.
Die Hauptfrage, die anhand der gewonnenen Daten beantwortet werden soll, betrifft die Unterscheidbarkeit der Buchstaben: Wie können die Buchstaben eines Schriftsystems sowohl unterschiedlich genug als auch einfach zu verarbeiten sein?
Für ihr Vorhaben, eine Typologie für Buchstabenformen mit möglichst reproduzierbaren und transparenten Klassifizierungsregeln zu erstellen, setzen die Forschenden auf Crowdsourcing, also die Mitarbeit von Laien. Das Forschungsteam strebt dabei an, eine Grammatik für Buchstabenformen zu erstellen in etwa analog zum Internationalen Phonetischen Alphabets, auch als Lautschrift bekannt. "Eine Typologie für Buchstaben wird eine Tür zur Erforschung von Schrift sowie Schriftsystemen öffnen", sagt Kim. "Dabei bitten wir die Öffentlichkeit um Unterstützung."
Im Onlinespiel bekommt man zunächst eine Auswahl von Zeichen. Die Aufgabe ist, Buchstaben mit optischen Gemeinsamkeiten zu markieren und anschließend eine Regel zu formulieren, die die Ähnlichkeiten innerhalb der Gruppe beschreiben. Anschließend müssen die Spielerinnen und Spieler die aufgestellte Regel in dem Buchstabensatz erneut anwenden, um zu testen, ob sich die Regeln in der Anwendung bewährt. Wer die Aufgabe besteht, erhält Punkte, bei besonders originellen und aussagekräftigen Klassifizierungen verdoppelt sich die Punktzahl. Für die Forschung werden die Beiträge der Spieler schließlich mithilfe von maschinellem Lernen ausgewertet, um die zuverlässigsten und informativsten Regeln zu ermitteln.
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