Schweiz nach der Eiszeit schneller wieder besiedelt

Neues Bild des menschlichen Lebens im Paläolithikum

Der Mensch hat das Schweizer Mittelland nach der letzten Eiszeit rascher wieder besiedelt als bisher angenommen, wie neue Knochendatierungen und archäologische Untersuchungen der Universität Neuenburg zeigen.

Pionierpflanzen
Leben im Paläolithikum: Nach dem Abschmelzen der Gletscher besiedelten zunächst Pionierpflanzen das Schweizer Mittelland – so wie hier am Gletscher Tsanfleuron. Foto: Werner Müller

Auf dem Höhepunkt der letzten Eiszeit vor etwa 19.000 bis 25.000 Jahren war fast die ganze Schweiz von riesigen, bis zu zweitausend Metern dicken Gletschermassen bedeckt. Erst nach deren Abschmelzen in den folgenden Jahrtausenden konnte hier wieder Leben gedeihen. Wann die ersten Menschen sich wieder im Mittelland ausbreiteten und woher sie kamen, war bislang umstritten. Eine Hypothese besagte, dass Mitteleuropa während dieser Eiszeit menschenleer war und erst nach der Erwärmung allmählich von Südwesteuropa her neu besiedelt wurde. Diese Annahme ist falsch, wie nun neue Daten zeigen, die ein Forschungsteam um die Archäozoologen Werner Müller und Denise Leesch von der Universität Neuenburg zusammengetragen hat.

Zwei Gramm Knochenmaterial

Die Neudatierungen von Tierknochen der sogenannten Magdalénien-Kultur zeigen, dass Siedlungen am Neuenburgersee und in der Nordwestschweiz rund 500 bis 1.000 Jahre älter sind als bislang angenommen: »Die Menschen lebten wohl schon vor 17.000 Jahren wieder im Gebiet des Schweizer Mittellands«, sagt Denise Leesch. Knochen aus Höhlen im Baselbieter Jura, der während der Eiszeit nicht vergletschert war, sind sogar 22.000 bis 24.000 Jahre alt. Der Mensch lebte also während der Eiszeit sehr wohl in Mitteleuropa und besiedelte von dort aus das Schweizer Mittelland nach dem Rückzug der Gletscher rasch wieder.

Als besonders aufschlussreich erwies sich die Datierung von 29 Tierknochen (vor allem Wildpferde und Rentiere) von zehn Fundstellen mit der so genannten Radiokarbonmethode. »Von den oft schon vor Jahrzehnten ausgegrabenen Fundstellen lagen zwar Datierungen vor, doch waren diese mit einer alten, weniger präzisen Methode gewonnen worden«, sagt Werner Müller. Der Grund für die Unterschiede zwischen früherer und heutiger Datierung liegt im technischen Fortschritt: Früher habe man größere Mengen Knochen benötigt, um eine Datierung durchzuführen, sagt Müller. Dabei bestand die Gefahr, Fragmente aus verschiedenen Fundschichten miteinander zu vermischen. Heute benötige man bloß noch zwei Gramm Knochenmaterial.

Keine Winteraufenthalte in Südfrankreich

Schwierig gestaltet sich die Frage nach der Mobilität der damaligen Menschen. Indizien von im Freien liegenden Neuenburger Fundorten zeigen, dass diese vorab im Sommerhalbjahr bewohnt waren. In der damaligen von Zwergbirke und Kriechweide dominierten Tundrensteppe machten die Bewohner Jagd auf Pferde und Rentiere. Waren sie erfolgreich, hieß es umziehen: Die Beute war so schwer, dass es unmöglich war, sie den oft Kilometer weiten Weg zurück zum Camp zu transportieren. Also kehrten die Jäger den Spieß um und verlegten ihren Wohnort an den Ort der Beute.

Weil viele Tiere nur im Frühling Junge bekommen, können Archäologen anhand des Zahnalters von Jungtieren abschätzen, in welcher Jahreszeit sie getötet wurden. In den Höhlen fanden die Forschenden mit dieser Methode einige Hinweise auf eine Besiedlung im Winter. Klar ist deshalb, dass die Menschen im Magdalénien das ganze Jahr über in der Schweiz gewohnt haben und nicht, wie früher geglaubt, jeweils im Herbst nach Südfrankreich gezogen sind. Doch ob die Höhlen in allen Jahreszeiten benutzt wurden oder bloß im Winter, können die Wissenschaftler aufgrund der bisherigen Untersuchungen noch nicht sagen.

 

Publikation

Leesch, D., et al., The Magdalenian in Switzerland: Re-colonization of a newly accessible landscape, Quaternary International (2012), doi:10.1016/j.quaint.2012.04.010

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