Palmyra als 3D-Plot?
In den gegenwärtigen Diskussionen würde oftmals suggeriert, dass mit modernster Technik und ausreichender Dokumentation alles wiedererstehen könne, was irgendwann einmal von irgendwem zerstört worden sei. Bei den zerstörten Objekten handele es sich aber um einzigartige, in Form und Konstruktion nicht reproduzierbare kulturelle Zeugnisse, deren Bedeutung nicht allein in ihrem Erscheinungsbild liegt: In ihre materielle Substanz sei menschliche Kommunikation, konstruktives Wissen und die Geschichte des Ortes eingeschrieben. Der Umgang mit den Verlusten bedürfe deshalb einer nachhaltigen und umfassenden Diskussion, die von den betroffenen Gesellschaften ausgehen müsse. Die Mitglieder der Koldewey-Gesellschaft sehen ihre Aufgabe darin, die betroffenen Länder auf diesem schwierigen Weg zu unterstützen und zu begleiten.
Die Stellungnahme im Wortlaut:
Stellungnahme der Koldewey-Gesellschaft angesichts aktueller Vorstöße für die Rekonstruktion kriegszerstörter Monumente im Nahen Osten
Die Verwüstungen ganzer Altstadtquartiere und die intentionalen Zerstörungen bedeutender Baudenkmäler in Syrien und im Irak führen derzeit zu einer breiten öffentlichen Diskussion um deren Rettung oder Rückgewinnung. Vertreter unterschiedlicher Disziplinen fordern den offensiven Einsatz modernster Technik für die Dokumentation bestehender und die Rekonstruktion verlorener Denkmäler. Dabei wird suggeriert, man könne mittels digital erzeugter Reproduktionen, wie etwa 3D-Plots, alles wiedererstehen lassen, was irgendwann einmal von irgendwem zerstört wurde, und die digital erzeugte Kopie sei ein vollwertiger Ersatz für das verlorene Original. Gegen eine solche Auffassung wendet sich die Koldewey-Gesellschaft als Vereinigung für baugeschichtliche Forschung in aller Entschiedenheit.
Durch die beliebige, maßstabs- und ortsunabhängige Reproduktion wird das Baudenkmal in größtmöglicher Weise marginalisiert und auf sein äußeres Abbild reduziert. Bei den zerstörten Objekten handelt es sich aber um einzigartige, in Form und Konstruktion nicht reproduzierbare kulturelle Zeugnisse. Digital oder auf anderem Wege erzeugte Kopien entwerten das Original und kaschieren dessen unwiederbringlichen Verlust als historisches Dokument und als Forschungsgegenstand. Der baugeschichtlichen Forschung wie der Denkmalpflege geht es nicht primär um Steine und totes Material. Es geht vielmehr um die authentischen Objekte, Orte und Monumente als Medien menschlicher Kommunikation und Geschichte. Der Umgang mit den Verlusten bedarf einer nachhaltigen und umfassenden Diskussion, die von den betroffenen Gesellschaften ausgehen muss und ihre spezifischen Bedürfnisse und Gegebenheiten berücksichtigt.
Die Koldewey-Gesellschaft beteiligt sich als Gründungsmitglied des Archaeological Heritage Network an dieser Diskussion mit dem ausdrücklichen Ziel, die authentische Substanz der betroffenen Denkmäler in ihrer vielschichtigen Wirkung und historischen Bedeutung in größtmöglichem Umfang zu erhalten. Nicht Reproduktionen und Simulationen sind gefragt, sondern die Rettung der authentischen Monumente – auch in ihrer Fragmentierung – als Mittel der Kommunikation und Geschichtsbewältigung. Die Mitglieder der Koldewey-Gesellschaft, von denen viele durch jahrelange Forschungstätigkeit mit den zerstörten Stätten und den dort lebenden Menschen intensiv verbunden sind, sehen ihre Aufgabe darin, die betroffenen Länder auf diesem schwierigen Weg nachhaltig zu unterstützen und zu begleiten.
Die Mitglieder der Koldewey-Gesellschaft auf der Hauptversammlung in Innsbruck, 5. Mai 2016
Info
Die 1926 gegründete Koldewey-Gesellschaft ist die berufsständische Vereinigung der historischen Bauforscher in den deutschsprachigen Ländern und beruft sich auf Robert Koldewey, der als Ausgräber von Babylon die modernen Methoden der wissenschaftlichen Bauforschung entwickeln und etablieren konnte.
Im Rahmen der alle zwei Jahre stattfindenden internationalen Konferenzen werden die Forschungsergebnisse der rund 350 Mitglieder ausgetauscht, das inhaltliche Spektrum reicht dabei von Forschungen an prähistorischen Stätten bis hin zur Nachkriegsarchitektur der 1980er Jahre. Neben der laufenden Forschung und der Betrachtung des Tagungsortes mit seinem historischen Baubestand stand in diesem Jahr angesichts aktueller Bedrohungen des kulturellen Erbes im Nahen Osten das Thema »Zerstörte Symbole. Gewalt gegen Architektur als baugeschichtliches Phänomen« im Zentrum.
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