Neue indogermanische Sprache in der hethitischen Hauptstadt entdeckt
Die UNESCO-Welterbestätte Boğazköy-Hattuša in der nördlichen Zentraltürkei beherbergt die Hauptstadt des hethitischen Reiches, einer der Großmächte Westasiens während der späten Bronzezeit. In den über 100 Jahren, in denen hier Ausgrabungen durchgeführt wurden, sind fast 30.000 Tontafeln mit Keilschrift gefunden worden. Diese Tafeln, die seit 2001 in das UNESCO-Weltdokumentenerbe aufgenommen wurden, liefern reichhaltige Informationen über die Geschichte, Gesellschaft, Wirtschaft und nicht zuletzt die religiösen Traditionen der Hethiter und ihrer Nachbarn.
Jährliche archäologische Forschungen unter der Leitung des derzeitigen Leiters der Ausgrabungsstätte, Prof. Dr. Andreas Schachner von der Istanbuler Abteilung des Deutschen Archäologischen Instituts, erweitern die Keilschriftfunde kontinuierlich. Die meisten Texte sind in hethitischer Sprache verfasst, der ältesten bezeugten indogermanischen Sprache und der vorherrschenden Sprache an diesem Ort. Doch die Ausgrabungen dieses Jahres brachten eine unerwartete Überraschung zutage. In einem Ritualtext, der in hethitischer Sprache verfasst ist, ist eine Rezitation in einer bisher unbekannten Sprache versteckt. Prof. Dr. Daniel Schwemer (Universität Würzburg), der keilschriftlichen Funde der Ausgrabung bearbeitet, berichtet, dass der Text dieses Idiom als die Sprache des Landes Kalašma bezeichnet, einer Gegend am nordwestlichen Rand des hethitischen Kernlandes, wahrscheinlich in der Gegend des heutigen Bolu oder Gerede.
Die Entdeckung einer weiteren Sprache in den Archiven von Boğazköy-Hattuša ist nicht völlig unerwartet. Schwemer erklärt: "Die Hethiter waren in einzigartiger Weise daran interessiert, Rituale in fremden Sprachen aufzuzeichnen. Ritualtexte, die von Schreibern des hethitischen Königs verfasst wurden, spiegeln verschiedene anatolische, syrische und mesopotamische Traditionen und sprachliche Milieus wider. Diese Rituale geben wertvolle Einblicke in die wenig bekannten sprachlichen Landschaften des spätbronzezeitlichen Anatoliens, wo nicht nur Hethitisch gesprochen wurde. So enthalten Keilschrifttexte aus Boğazköy-Hattuša Passagen in Luwisch und Palaisch, zwei weiteren anatolisch-indoeuropäischen Sprachen, die eng mit dem Hethitischen verwandt sind, sowie in Hattisch, einer nicht-indoeuropäischen Sprache. Jetzt kann die Sprache von Kalašma zu diesen Sprachen hinzugefügt werden.
Da der "Kalašma-Text“ in einer neu entdeckten Sprache geschrieben wurde, ist er noch weitgehend unverständlich. Schwemers Kollegin Prof. Dr. Elisabeth Rieken (Philipps-Universität Marburg), eine Spezialistin für altanatolische Sprachen, hat bestätigt, dass das Idiom zur Familie der anatolisch-indoeuropäischen Sprachen gehört. Laut Rieken scheint der Text trotz seiner geografischen Nähe zum palaischen Sprachgebiet mehr Merkmale mit dem Luwischen zu teilen. Wie eng die Sprache von Kalašma mit den anderen luwischen Dialekten des spätbronzezeitlichen Anatoliens verwandt ist, wird Gegenstand weiterer Untersuchungen sein. Die Arbeiten finden im Rahmen des insgesamt durch das Deutsche Archäologische Institut (DAI), die Thyssen-Stiftung, die GRH Stiftung, die Volkswagen-Stiftung und das italienische Aussenministerium geförderten Arbeiten in Boğazköy/Hattuscha statt. Bei der Dokumentation und Auswertung des Texts arbeiten Kolleginnen und Kollegen des DAIs, der Universitäten Istanbul, Würzburg und Marburg zusammen.
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