Neue Erkenntnisse zu den Verwandtschaftverhältnissen auf frühmittelalterlichen Gräberfeldern
Die Bajuwaren, die seit Mitte des 6. Jahrhunderts große Teile Bayerns bevölkerten, bestatteten im Normalfall ihre Toten einzeln in Erdgräbern auf großen Gräberfeldern – ähnlich unseren heutigen Friedhöfen. Ab der Mitte des 7. Jahrhunderts tritt jedoch eine besondere Bestattungsform auf: Bestimmte Personen werden, oft nun zu mehreren, in sarkophagähnlichen Bauten, den so genannten Steinplattengräbern beigesetzt. Der aufwändige Grabbau - die Tuffsteine mussten oft erst aus anderen Regionen herbeigeschafft werden – wie auch die zum Teil kostbaren Beigaben führten unter Archäologen zu der Vermutung, dass hier vielleicht Repräsentanten einer frühen Adelsschicht zu finden sind. Ein gemeinsames Projekt des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege (BLfD) und der Staatssammlung für Anthropologie und Paläoanatomie München (SAPM) soll hierüber nun mehr Aufschluss geben. Die ersten Ergebnisse wurden jetzt in der renommierten Fachzeitschrift "American Journal of Physical Anthropology" veröffentlicht.
In der Studie gelang es, die genetischen Fingerabdrücke von mehreren 1300 Jahren alten Skeletten zu rekonstruieren. "Wir konnten so zeigen, dass in einem solchen Steinplattengrab oft Verwandte unterschiedlicher Generationen zusammenlagen" sagte Andreas Rott, der die aufwändigen DNA-Analysen vorgenommen hat. "Aber interessanterweise ließen sich auch zwischen Personen, die in unterschiedlichen Ruhestätten beigesetzt worden waren, verwandtschaftliche Bande nachweisen."
So auch im Fall der Steinplattengräber von Herrsching am Ammersee: Hier fand sich in einem Grab nur ein einziges Skelett eines zwischen 40 und 60 Jahren alten Mannes. Er wird aufgrund der Lage des Grabes und seiner Ausstattung häufig als Gründer sowohl der sich direkt anschließenden Kirche als auch des ganzen Bestattungsplatzes interpretiert. Mittels DNA-Analysen konnte nun nachgewiesen werden, dass sich im mehrere Skelette enthaltenden Nebengrab tatsächlich seine Nachfahren befinden. Mit großer Wahrscheinlichkeit handelt sich hier um seinen Sohn und seine Urenkel.
"Die so nachgewiesenen Verwandtschaftsbeziehungen können nun tatsächlich als weiteres Indiz dafür gewertet werden, dass eine frühe bajuwarische Adelsschicht seine Familienangehörigen in diesen Steinplattengräbern bestattete" schlussfolgert Andreas Rott "denn ein wichtiges Merkmal von Adel ist die Vererbbarkeit des sozialen Status."
Besonders interessant findet Dr. Jochen Haberstroh (BLfD), der zusammen mit Dr. Michaela Harbeck (SAPM) die Studie leitete, aber die Ergebnisse vom frühmittelalterlichen Gräberfeld in Sindelsdorf. Hier wurde eine reich ausgestattete, junge Frau ebenfalls alleine in einem Steinplattengrab bestattet, während um sie herum nur die typischen Erdgräber anzutreffen waren. Die genetischen Analysen zeigten dann überraschenderweise, dass sowohl rechts als auch links der jungen Frau ihre Verwandten, nämlich ihr Vater wie auch ihr Bruder in diesen profanen Grabstätten zur Ruhe gelegt wurden.
"Wir konnten so zum ersten Mal mit genetischen Methoden zeigen, dass bajuwarische Gräberfelder auch nach verwandtschaftlichen Gesichtspunkten aufgebaut sind ", stellt Michaela Harbeck fest. "Eine solche Binnengliederung wird von Archäologen schon länger auch für andere Gräberfelder vermutet", sagt Jochen Haberstroh. "Durch die Einbeziehung anthropologischer Methoden werden für die archäologische Auswertung neue Fragen aufgeworfen. Denn gerade in Sindelsdorf hat der archäologische Befund die enge Verwandtschaft der drei Bestatteten nicht unbedingt nahegelegt. Für die Archäologie deuten die Ergebnisse der Studie an, dass bisherige Auswertungskonzepte wohl einer grundlegenden Revision bedürfen. Die Rekonstruktion familiärer Beziehungen wird auf Gräberfeldern des Frühen Mittelalters künftig kaum noch ohne Gegenprobe der Anthropologie möglich sein."
Publikation
Rott A, Turner N, Scholz U, von Heyking K, Immler F, Peters J, Haberstroh J, and Harbeck M.: Early medieval stone-lined graves in Southern Germany: analysis of an emerging noble class. Am J Phys Anthropol. 2016;00:1–16.
DOI: 10.1002/ajpa.23170
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