Neue Einblicke in die Siedlungsgeschichte der Stadt Haldensleben
In den Jahren 2013 und 2014 soll an der Gröperstraße im historischen Stadtkern von Haldensleben auf ca. 1.250 m² Fläche der zweite Teilbereich eines Mehrgenerationenhauses entstehen. Im Vorfeld des Bauvorhabens führt das Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt seit September 2012 archäologische Ausgrabungen durch. Das zehnköpfige Grabungsteam hat bisher über 600 archäologische Befunde dokumentiert und tausende Funde geborgen.
Die Gröperstraße liegt innerhalb des von einer weitgehend erhaltenen Stadtmauer umschlossenen mittelalterlichen Stadtkerns von Haldensleben. Unter Heinrich dem Löwen war in der Mitte des 12. Jahrhunderts eine befestigte Marktsiedlung in der sumpfigen Ohreniederung gegründet worden. Im Jahr 1181 wurde der Ort durch den Magdeburger Erzbischof Wichmann belagert und auf bemerkenswerte Weise zur Kapitulation gezwungen: Der Erzbischof ließ die Siedlung durch Aufstauen der Ohre mittels eines Dammes unter Wasser setzen. Die Bewohner sollen daraufhin in das nahe gelegene Niendorf übergesiedelt sein. Ab dem Jahr 1224 taucht Neuhaldensleben als magdeburgische Stadt in der schriftlichen Überlieferung auf. Im Bereich zwischen Gröperstraße und Bülstringer Straße konnte bei der archäologischen Begleitung eines ersten Bauabschnittes des Mehrgenerationenhauses erstmals ein archäologischer Hinweis darauf gefunden werden, dass die Marktsiedlung Heinrichs des Löwen im Bereich der späteren Stadt gelegen hat – ein dort geborgener Holzbalken stammt von einem Baum, der um das Jahr 1168 gefällt wurde.
Die aktuellen flächigen archäologischen Untersuchungen auf dem angrenzenden Grundstück ermöglichen nun einen außergewöhnlichen Einblick in die Siedlungsgeschichte Haldenslebens. In dem Grabungsareal, das unmittelbar an der Gröperstraße beginnt und bis in den rückwärtigen Bereich der ehemaligen Parzellen an der Bülstringer Straße reicht, wurden großflächig mittelalterliche Siedlungsschichten von etwa einem Meter Mächtigkeit angetroffen. An der Gröperstraße lassen Wandfundamente, Keller und übereinanderliegende Fußbodenschichten die Rekonstruktion einer Bauabfolge vom Spätmittelalter bis in die frühe Neuzeit zu. Im rückwärtigen Bereich befinden sich in großer Dichte Reste von Ver- und Entsorgungseinrichtungen wie Brunnen und Kloaken oder Abfallgruben. Einem hohen Grundwasserstand und feuchten Torfschichten ist es zu verdanken, dass sich organische Materialien hier hervorragend erhalten haben. Mittelalterliche Brunnen und Gruben besitzen noch Flechtwerk- und Holzauskleidungen. Die Altersbestimmung der Hölzer nach Ende der Dokumentation vor Ort verspricht weitere interessante Erkenntnisse zur Stadtgeschichte, von der Analyse der Kloakeninhalte sind tiefer gehende Einblicke in die Lebenssituation der Stadtbewohner zu erwarten.
Teile von Lederschuhen, Schnittreste und Hornzapfen belegen eine umfangreiche Lederverarbeitung und Gerberei. In einer Grube entsorgtes Knochenmaterial zeugt von der Tätigkeit eines Fleischhauers. Schmiedehandwerk lässt sich durch kalottenförmige Schlacken nachweisen, die im Hofbereich entsorgt wurden. Den größten Fundkomplex bilden jedoch Bruchstücke von mittelalterlichen Keramikgefäßen. Überwiegend handelt es sich um lokal gefertigte »blaugraue« Irdenware, untergeordnet kommt allerdings auch importiertes Steinzeug vor. Zum Teil verzierte Schankgefäße und Ofenkacheln spiegeln eine frühe bürgerliche Wohnkultur und einen gewissen Wohlstand der Bewohner an der Gröperstraße während des späten Mittelalters wider.
RSS-Feeds @ Archäologie Online
- Nachrichten
- Videos
- Podcasts