Neue Ausgrabungen in der Wüstung Dorf Anhalt bei Harzgerode
Über dem idyllischen Selketal erhebt sich östlich von Harzgerode der Große Hausberg mit den Überresten der einst imposanten Burg Anhalt. Als einer der Stammsitze des Geschlechts der Askanier taucht die Burg erstmals 1140 in den Schriftquellen auf und war namengebend für den heutigen Landesteil Anhalt. Auf einem Hochplateau südöstlich vor der Burg liegt das zugehörige Dorf Anhalt, das spätestens 1440 verlassen wurde. Während der Wanderer heute im Wald höchstens die romanische Kirchenruine, die bereits 1902 freigelegt wurde, in Form einer Geländeerhebung entdeckt, liefert die eindrückliche Topographie Archäologen bereits wertvolle Hinweise auf die Struktur des Dorfes: So zeichnen sich deutlich zahlreiche Hausstandorte und Parzellierungen, großflächige Terrassierungen, ein Brunnen und mehrere Wege ab. Hinzu kommen wirtschaftliche Anlagen wie Erzabbaupingen und Steinbrüche, erstere legen die Bedeutung des Montanwesens beziehungsweise der Metallgewinnung nahe.
Bei den seit 2017 durch den Lehrstuhl für Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg in Kooperation mit dem Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt durchgeführten Ausgrabungskampagnen konnten in den letzten beiden Jahren u. a. eine Ofenanlage zur Metallverarbeitung und ein gut erhaltener Steinkeller eines Hauses untersucht werden. Bei der diesjährigen sechswöchigen Lehr- und Forschungsgrabung lernen ein Dutzend Studierende nicht nur das archäologische Handwerk, sondern leisten einen wichtigen Beitrag zur Untersuchung eines Ortes von landesgeschichtlicher Bedeutung. Unterstützt werden die Arbeiten durch den unermüdlichen Einsatz ehrenamtlicher Bodendenkmalpfleger. Noch bis zum 20. September werden die Überreste des Dorfes mit dem berühmten Namen untersucht.
Auch die diesjährigen Funde bestätigen die Blütezeit der 1311 erstmals erwähnten Siedlung im 13. und 14. Jahrhundert. Unter dem umfangreichen Fundmaterial aus der Zeit vom 12. bis 15. Jahrhundert sind zahlreiche Keramikscherben von Koch- und Tafelgeschirr sowie Alltagsgegenstände aus Eisen und Buntmetall. Diese umfassen persönliche Ausstattungsstücke wie verzierte Schnallen, aber auch militärische Objekte wie Armbrustbolzen. Brandlehm, Backsteine und Dachziegel liefern Hinweise auf die Bebauung im Dorf. Werkabfall der Metallurgie wie beispielsweise Schlacken beleuchten das Montanwesen als eines der wirtschaftlichen Standbeine der Niederlassung.
Während der Harz zuvor nur in geringem Umfang besiedelt war, erfolgte im hohen Mittelalter (11. bis 13. Jahrhundert) eine umfassende Aufsiedlung und Erschließung als Wirtschaftsraum, vielerorts wurden neue Dörfer angelegt. Hier spielte vor allem der Bergbau eine Rolle, für den der Harz neben unterschiedlichen Erzen auch Holz und Wasser lieferte. Die große Zahl der mittelalterlichen Wüstungen – im Umfeld des Selketals sind über 50 bekannt – spiegelt nicht nur die Intensität des Landesausbaus wider, sondern zeugt auch vom späteren Niedergang vieler Siedlungen. In welchem Verhältnis Land- und Montanwirtschaft zueinander standen und ob schon vor dem 13. Jahrhundert Bergbau auf Eisen und Silber betrieben wurde, müssen weitere Forschungen klären. Im Gegensatz zum (montan-)archäologisch besser erschlossenen Oberharz, fehlen im Ostharz bislang systematische Untersuchungen der bekannten Fundstellen, die Informationen zu ihrer Datierung und Bedeutung im Rahmen des mittelalterlichen Landesausbaus sowie seinen wirtschaftlichen Grundlagen liefern können. Hier leisten die Untersuchungen im Dorf Anhalt, das neben seinem Bezug zur gleichnamigen Burg besonders durch seine eindrückliche Topographie und die Hinterlassenschaften metallurgischer Prozesse heraussticht, einen wichtigen Beitrag.
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