Neandertalergenom vollständig entschlüsselt
Im Jahre 2010 präsentierten Svante Pääbo und Kollegen eine erste Arbeitsversion des Neandertalergenoms. Die dazu benötigte DNA hatten die Forscher aus drei Neandertalerknochen aus einer Höhle in Kroatien gewonnen. Jetzt verwendeten sie einen im Jahre 2010 in der Denisova-Höhle in Südsibirien ausgegrabenen Zehenknochen und generierten aus der darin enthaltenen DNA ein hochwertiges Genom dieses Neandertalers.
Das Leipziger Forscherteam wendete neue hochempfindliche Techniken an, die sie in den vergangenen zwei Jahren entwickelt hatte, um jede Base des Neandertalergenoms etwa 50 Mal zu lesen. Die dazu benötigte DNA wurde aus weniger als einem halben Milligramm des Zehs eines Neandertalers gewonnen. Die Analyse des Genoms zusammen mit weiteren Teil-Genomsequenzen anderer Neandertaler und dem Genom aus einem winzigen Fingerknochen aus derselben Höhle zeigt, dass dieses Individuum nahe verwandt ist mit anderen Neandertalern in Europa und Westrussland (siehe Abbildung). Bemerkenswert ist, dass sowohl Neandertaler als auch ihre Verwandten, die Denisova-Menschen, die Denisova-Höhle in den Altai-Bergen an der Grenze zwischen Russland, China, der Mongolei und Kasachstan bewohnt hatten.
Während in der Arbeitsversion des Neandertalergenoms von 2010 jede Base im Durchschnitt nur einmal gelesen wurde, lasen die Forscher bei der jetzt fertiggestellten Version jede Position etwa 50 Mal. Die nun vollständige Version des Genoms ermöglicht es, selbst die winzigen Unterschiede zwischen den Genkopien, welche dieses Individuum von seinem Vater beziehungsweise von seiner Mutter erbte, zu unterscheiden. Am Dienstag, den 19.3. machte das Leipziger Forscherteam die gesamte Genomsequenz des Neandertalers der Wissenschaftsgemeinschaft über das Internet zugänglich.
»Das Genom ist von sehr hoher Qualität«, sagt Kay Prüfer, der die Genomanalysen in Leipzig koordiniert. »Es ist genauso akkurat wie das Denisova-Genom, das wir im vergangenen Jahr vorgestellt haben, und ähnlich gut oder sogar besser als die zahlreichen bereits vorliegenden Genome heute lebender Menschen.«
»Wir sind nun dabei, dieses Neandertalergenom mit dem Genom des Denisova-Menschen und den Genomen weiterer Neandertaler zu vergleichen«, sagt Pääbo. »So werden wir weitere Aspekte der Geschichte von Neandertalern und Denisova-Menschen beleuchten und unser Wissen darüber erweitern, welche genetischen Veränderungen in den Genomen moderner Menschen auftraten, nachdem sie einen anderen evolutionären Weg einschlugen als die Vorfahren der Neandertaler und Denisova-Menschen.«
Das Forscherteam wird eine nähere Beschreibung des Neandertaler-Genoms noch in diesem Jahr veröffentlichen. »Wir möchten die Genomsequenz aber schon jetzt allen frei zugänglich machen. So ermöglichen wir bereits vor dem Erscheinen unserer Publikation anderen Wissenschaftlern den Zugriff auf die Daten«, sagt Pääbo.
Das Projekt wurde von der Max-Planck-Gesellschaft finanziert und ist Teil der fast 30 Jahre umfassenden Forschungsarbeiten der Gruppe von Svante Pääbo auf dem Gebiet der alten DNA. Der Zehenknochen wurde von den Professoren Derevianko und Michael Shunkov von der Russischen Akademie der Wissenschaften während ihrer Ausgrabungen in der Denisova-Höhle im Jahre 2010 entdeckt. Die Denisova-Höhle ist eine einzigartige archäologische Fundstätte, die wahrscheinlich bereits vor etwa 280.000 Jahren von Menschen bewohnt wurde.
Das Genom kann unter http://www.eva.mpg.de/neandertal/ eingesehen werden.
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