Neandertaler vs. Homo sapiens: die Umwelt machte den Unterschied, nicht die Ernährung

Hinter das Rätsel, warum die Neandertaler vor rund 40.000 Jahren vom anatomisch modernen Menschen verdrängt wurden, müssen Forscher ein noch größeres Fragezeichen setzen als zuvor. Einer verbreiteten Hypothese zufolge sollten die Neandertaler im Nachteil gewesen sein, weil ihr Nahrungsspektrum gegenüber dem der Vorfahren heutiger Menschen eingeschränkt war. Diese Annahme beruht auf Isotopenanalysen der Knochen, die Rückschlüsse auf die Ernährung zulassen. Neue Untersuchungen kommen zu einem anderen Ergebnis.

Fußabdruck eines Neandertalers
Fußabdruck eines Neandertalers. Foto: Claire H., geändert AB, Lizenz: Creative Commons CC-by-sa-2.0 de (Kurzfassung). Originaldatei: Neanderthal Foot Print.

Forscher der Universität Tübingen unter Leitung von Professor Hervé Bocherens vom Fachbereich Geowissenschaften und ein Kollege vom Urgeschichtlichen Museum im französischen Les Eyzies-de-Tayac haben diese Befunde überprüft. Bei ihren Untersuchungen fanden sie Hinweise darauf, dass die unterschiedlichen Isotopensignaturen in den Knochen der beiden Menschenarten weniger auf verschiedene Speisezettel als vielmehr auf einen Wandel der Umweltbedingungen zurückzuführen sind, wie zum Beispiel erhöhte Trockenheit in den Gebieten, in denen sich die anatomisch modernen Menschen aufhielten.

Atome des gleichen Elements mit unterschiedlicher Masse werden als Isotope bezeichnet. Im Gegensatz zu den radiogenen Isotopen zerfallen die stabilen Isotope nicht. Die charakteristische Isotopensignatur – das Verhältnis der schweren zur leichten Variante eines Elements – der Nahrung spiegelt sich auch in der Signatur des Körpers der Konsumenten wider. So hatten Forscher aus dem hohen Anteil schwerer Stickstoffisotope in den Knochen rund 35.000 Jahre alter anatomisch moderner Menschen geschlossen, dass diese auch Fisch gegessen hätten, während sich die Neandertaler dieser Zeit auf das Fleisch großer Landtiere wie Mammut und Bison beschränkten. »Allerdings wurde bisher das Isotopenverhältnis in den Nahrungsquellen in der jeweiligen Umgebung nicht hinreichend überprüft«, erklärt Hervé Bocherens.

Mit seinem Forscherteam stellte er in einer aktuellen Studie fest, dass gerade in der Zeit des ersten Auftretens anatomisch moderner Menschen in Südwestfrankreich der Anteil schwerer Stickstoffisotope in den Knochen von sowohl pflanzenfressenden Tieren wie Rentier, Rothirsch, Pferd und Bison als auch von Fleischfressern wie Wölfen dramatisch anstieg. Die Werte waren im ganzen Ökosystem erhöht, wohl aufgrund veränderter Umweltparameter. »Diese erhöhten Isotopensignaturen spiegeln sich in den Überresten des modernen Menschen aus dieser Zeit natürlich ebenfalls wider«, sagt der Paläobiologe. »Wir können daraus also nicht unbedingt schließen, dass sich die Ernährung von der des Neandertalers unterschied, es deutet vielmehr alles auf einen Wandel der Umweltbedingungen im Gebiet des heutigen Südwesten Frankreichs hin.« Hervé Bocherens geht davon aus, dass es eher diese Art von Veränderungen wie etwa zunehmende Trockenheit waren, die den modernen Menschen einen Vorteil gegenüber den Neandertalern verschafften.

Vor kurzem hatte der Wissenschaftler bereits bei Forschungen in einer Höhle im nördlichen Kaukasusgebirge Hinweise gefunden, dass Neandertaler auch Fisch auf dem Speisezettel hatten. »Allgemein werden Neandertalern aufgrund neuerer Studien auch immer qualifiziertere Fähigkeiten zugeschrieben. Der biologische Unterschied zwischen den beiden prähistorischen Menschentypen erscheint immer kleiner«, stellt Bocherens fest. Er geht nicht davon aus, dass kleine Verhaltensunterschiede zwischen den Menschenformen ausreichten, um das Aussterben des Neandertalers und die weltweite Ausbreitung des anatomisch modernen Menschen zu erklären.

 

Publikation

Hervé Bocherens, Dorothée G. Drucker, Stéphane Madelaine:
Evidence for a 15N positive excursion in terrestrial foodwebs at the Middle to Upper Palaeolithic transition in south-western France: Implications for early modern human palaeodiet and Palaeoenvironment.
Journal of Human Evolution
DOI: 10.1016/j.jhevol.2013.12.015

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