Nach 1.800 Jahren wieder vereint
Ein eher unscheinbarer, schlammverschmierter Sandstein hatte die Aufmerksamkeit eines Mitarbeiters der ausführenden Firma ArchaeoBW auf sich gezogen. Bei näherem Hinsehen und nach einer ersten Reinigung entpuppte sich der Fund als gut 30 Zentimeter große, kniende Figur mit menschlichem Kopf. Trotz der Verwitterung des Steins ist zu erkennen, wie ihre Arme seitlich auf dem Oberkörper anliegen und die Hände auf Hüfte und Beinen ruhen. Letztere sind allerdings nicht menschlich geformt, sondern gehen in eine Art Schlangenleib über.
Der leitende Archäologe des LAD, Dr. Andreas Thiel, erklärte: "Bei der Figur handelt es sich um ein Mischwesen der römisch-germanischen Götterwelt, einen sogenannten 'Giganten'. Wie vergleichbare Funde zeigen, war die Figur einst Teil einer Jupiter-Giganten-Säule. Diese Denkmale vereinen klassisch-antike mit vermutlich germanischen Glaubensvorstellungen: Der Blitze schleudernde Jupiter reitet dabei auf seinem Pferd über eine am Boden kauernde, meist nackt und bärtig dargestellte Gestalt, wie dies beispielsweise bei einer Gruppe aus Hausen an der Zaber im Kreis Heilbronn zu sehen ist." Allerdings werde das Wesen unter dem Pferd dabei häufig in einer Pose dargestellt, die das Pferd über ihm eher zu stützen scheint. "Diese Figurengruppen krönten hohe, auf öffentlichen Plätzen aufgestellte Steinsäulen. Vermutlich wird Jupiter hier als Wettergott und Herr über die Naturkräfte dargestellt", so Thiel.
Neben seiner wissenschaftlichen Bedeutung hat der Neufund laut Thiel auch noch einen weiteren hochinteressanten Aspekt: "Jede Archäologin, jeder Archäologe freut sich, wenn ein schöner Fund gelingt. Jede Ausgrabung auf dem Hallschlag bringt so Puzzleteile zur römischen Vergangenheit der Landeshauptstadt ans Licht. In diesem Fall sind wir in der glücklichen Lage, dass unser Gigant zu weiteren Funden passt, die schon vor über einhundert Jahren in Bad Cannstatt zu Tage kamen".
"In unserem Depot haben wir viele Funde aus dem römischen Bad Cannstatt. Als wir von der Neuentdeckung hörten, haben wir sofort an ein weiteres Teil einer Jupiter-Giganten-Säule gedacht: Zu deren Sockel gehörte in der Regel ein sogenannter Viergötterstein. Im Depot des Landesmuseums Württemberg gibt es einen stark beschädigten Viergötterstein mit den Darstellungen der römischen Gottheiten Merkur, Juno, Hercules und Minerva." erzählte die Leiterin der Abteilung Archäologie und Referentin für Klassische sowie Provinzialrömische Archäologie am Landesmuseum Württemberg in Stuttgart, Dr. Astrid Fendt. Und Andreas Thiel ergänzte: "Genau dieser Viergötterstein stammt aus einem Brunnen (der am Rande der jetzt aktuell gegrabenen Fläche lag) und wurde bei den Grabungen 1908 gefunden. Der unscheinbare Gigant könnte dort auch gelegen haben, entging den Kolleginnen und Kollegen damals aber wohl, was nicht verwunderlich ist, wenn man sich den Stein noch schmutzig vorstellt."
Insgesamt gesehen sei es daher ein großer Glücksfall, dass der neu gefundene Gigant mit einem schon seit langem im Depot des Landesmuseums Württemberg lagernden Fragment in Verbindung gebracht werden kann. So ist es möglich, eine Jupiter-Giganten-Säule zu rekonstruieren, die einst im Bereich einer wichtigen Straßenkreuzung der römischen Ansiedlung von Bad Cannstatt aufgestellt war. Für die Archäologinnen und Archäologen ist dies ein weiteres Puzzleteil der reichen römischen Vergangenheit der Landeshauptstadt Stuttgart.
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