Mutter-Kind-Bindung vor 2 Millionen Jahren

Mütter der Vormenschen-Art Australopithecus africanus stillten ihre Kinder in den ersten 12 Lebensmonaten und griffen auch später – in Zeiten von Nahrungsknappheit – auf die Ernährung mit Muttermilch zurück, wie jüngst veröffentlichte Analysen fossiler Zähne ergaben. Die intensive, jahrelange Mutter-Kind-Bindung wird von den Wissenschaftlern als eine der Ursachen für die geringe Nachkommen-Anzahl bei den Vormenschen gedeutet.

Australopithecus-Mutter mit Kind
Die Kinder von Australopithecus africanus wurden nach ihrer Geburt etwa 12 Monate gestillt – bei mangelndem Nahrungsangebot auch länger. Bild: Garcia und Joannes-Boyau

Die vor etwa 3 bis 2,1 Millionen Jahre lebende Vormenschen-Art Australopithecus africanus gilt – bedingt durch eine hohe Anpassungsfähigkeit in einer Zeit sich ändernder Klima- und Umweltbedingungen – als außergewöhnlich flexibel bei ihren Nahrungsgewohnheiten. »Wir haben in unserer aktuellen Studie untersucht, wie diese Art ihren Nachwuchs großgezogen hat«, erklärt PD Dr. Ottmar Kullmer vom Senckenberg Forschungsinstitut in Frankfurt. 

Unter der Leitung der australischen Wissenschaftler Dr. Renaud Joannes-Boyau von der Southern Cross University, Dr. Luca Fiorenza und Dr. Justin W. Adams von der Monash University hat Kullmer mit weiteren internationalen Wissenschaftlern zwei Millionen Jahre alte Australopithecus-Zähne geochemisch untersucht. Die Ergebnisse zeigen, dass die Vormenschen-Kinder nach ihrer Geburt etwa 12 Monate gestillt wurden. »In Zeiten von mangelndem Nahrungsangebot, so beispielsweise in der saisonalen Trockenzeit, griffen die Australopithecus-Mütter über mehrere Jahre wiederkehrend auf Muttermilch zurück, um den Hunger ihres Nachwuchses zu stillen«, ergänzt der Frankfurter Paläoanthropologe und fährt fort: »In ihrem Stillverhalten ähneln die ‚aufrechtgehenden Vormensche« demnach in natürlicher Umgebung lebenden Orang-Utans, die ihren Nachwuchs bis zu neun Jahre immer wieder säugen.«

Die Forschenden verdampften mithilfe spezieller Laser-Techniken zur Probennahme mikroskopisch kleine Teile der uralten Zahnoberfläche und untersuchten das Gas mit einem Massenspektrometer auf chemische Signaturen. »Zähne können uns wertvolle Informationen zur Rekonstruktion der Ernährung und der Gesundheit eines Individuums in dessen verschiedenen Lebensphasen geben«, so Kullmer und weiter: »Es konnte bereits das Stillverhalten von Neandertalern rekonstruiert werden – nun haben wir Zähne analysiert, die sogar zehnmal älter sind!« 

Laut der Studie wirkt sich die jahrelange Bindung zwischen Mutter und Nachwuchs auch auf die potentielle Anzahl der Nachkommen aus: Wenn Säuglinge längere Zeit auf Muttermilch angewiesen sind, muss die Kinderzahl niedriger bleiben. »Zudem hatte die enge Mutter-Kind-Bindung sicherlich auch Auswirkungen auf die Gruppendynamik und die soziale Struktur der Australopithecinen«, schließt Kullmer.

Publikation

Renaud Joannes-Boyau et al.

Elemental signatures of Australopithecus africanus teeth reveal seasonal dietary stress

Nature. 17.07.2019
DOI: 10.1038/s41586-019-1370-5
https://www.nature.com/articles/s41586-0...

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