Mit Milch erfolgreich in einer der unwirtlichsten Umgebungen der Welt
Das Hochland von Tibet, das auch als "dritter Pol" oder "Dach der Welt" bezeichnet wird, ist eine der ungastlichsten Umgebungen der Welt. Eine positive natürliche Selektion an mehreren genomischen Loci hat den frühen Tibeterinnen und Tibetern ermöglicht, sich an höhere Lagen anzupassen, dennoch wäre die Beschaffung ausreichender Nahrung aus dem ressourcenarmen Hochland eine Herausforderung geblieben.
Eine aktuelle Studie, erschienen in der Fachzeitschrift Science Advances und geleitet von Forschenden des Max-Planck-Instituts für Geoanthropologie, Deutschland, dem Center for Archaeological Science at Sichuan University, China sowie dem Tibetan Cultural Relics Conservation Institute, China, offenbart, dass Milchprodukte eine Hauptkomponente der menschlichen Ernährung auf dem Hochland von Tibet waren. Die Forschenden untersuchten historische Proteine aus dem Zahnstein von 40 menschlichen Individuen von 15 Fundorten aus dem Inneren des Plateaus.
"Wir haben versucht, alle ausgegrabenen Individuen mit ausreichend erhaltenem Zahnstein aus der untersuchten Region einzubeziehen", erklärt Li Tang, Hauptautorin der Studie. "Unsere Proteinnachweise zeigen, dass die Milchwirtschaft vor mindestens 3.500 Jahren auf dem Hinterland des Plateaus eingeführt wurde", ergänzt Prof. Hongliang Lu, korrespondierende Autorin der Studie.
Die gefundenen Hinweise auf historische Proteine legen nah, dass Milchprodukte von verschiedenen Bevölkerungsgruppen konsumiert wurden - darunter Frauen und Männer, Erwachsene und Kinder sowie Personen aus sowohl elitären als auch nicht-elitären Begräbnisstätten. Zusätzlich nutzten die prähistorischen tibetischen Menschen des Hochlandes die Milch von Ziegen, Schafen und möglicherweise Rindern und Yaks. Dabei scheinen die frühen Hirtenvölker in Westtibet eine Präferenz für Ziegenmilch gehabt zu haben. "Die Einführung des Pastoralismus ermöglichte es den Menschen maßgeblich, einen Großteil des Plateaus zu besiedeln, insbesondere die gewaltigen Gebiete, die für den Ackerbau zu extrem waren", sagt Prof. Nicole Boivin, Seniorautorin der Studie.
Die Rückverfolgung der Milchwirtschaft in die tiefste Vergangenheit war lange eine Herausforderung für Forschende. Traditionell untersuchten Archäologinnen und Archäologen die Überreste von Tieren und das Innere von Lebensmittelgefäßen, um Hinweise auf die Milchwirtschaft zu finden. Die Fähigkeit dieser Quellen, direkte Beweise für den Konsum von Milch zu liefern, ist aber oft begrenzt.
"Die Paläoproteomik ist ein neues und leistungsfähiges Werkzeug, das es uns ermöglichte, die tibetische Ernährungsweise in einem noch nie dagewesenen Detail zu erforschen", sagt Ko-Autorin Dr. Shevan Wilkin. "Die Analyse von Proteinen aus historischem, menschlichem Zahnstein liefert nicht nur direkte Beweise für die Nahrungsaufnahme, sondern erlaubt uns auch die Identifizierung der Spezies, von der die Milch stammt."
"Wir waren begeistert, solch ein erstaunlich klares Muster zu beobachten", sagt Li Tang. "Alle untersuchten Milchpeptide stammen von historischen Individuen aus den westlichen und nördlichen Steppen, wo der Anbau von Getreide äußerst schwierig ist. In den südlichen, zentralen und südöstlichen Tälern, wo mehr Ackerland zur Verfügung steht, konnten wir dagegen keine Milchproteine nachweisen."
Überraschenderweise wurden alle Individuen mit Hinweisen auf Milchkonsum an Orten gefunden, die höher als 3.700 Meter über dem Meeresspiegel liegen - dabei lagen fast die Hälfte über 4.000 Meter, mit der extremsten Höhe von 4.654 Metern.
"Es ist klar, dass die Milchwirtschaft für die frühe pastorale Besiedlung des Hochlands von entscheidender Bedeutung war", sagt Prof. Shargan Wangdue. Li Tang fasst zusammen: "Wiederkäuer konnten die in alpinen Weiden gebundene Energie in nährstoffreiche Milch und Fleisch umwandeln, was die Ausbreitung menschlicher Populationen in einige der extremsten Umgebungen der Welt begünstigte."
Publikation
Palaeoproteomic evidence reveals dairying supported prehistoric occupation of the highland Tibetan Plateau
Science Advances. 12.4.2023
DOI: 10.1126/sciadv.adf0345
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