LWL-Chefarchäologin geht in den Ruhestand
Die Leiterin eines Hauses mit 90 Mitarbeitern kam erst spät und auf Umwegen zur Archäologie. Studiert hatte sie zunächst Geschichte, Kunstgeschichte und Deutsch, geliebäugelt auch mit dem Theater. Schon vor ihrem Studienaufenthalt in England erhielt die in Hattingen aufgewachsene Westfälin Ende der 60er Jahre die Möglichkeit, an Ausgrabungen in Winchester teilzunehmen. Damit war sie "infiziert" von der Archäologie, wie die Arzttochter selbst sagt. Von den Engländern, damals führend im Ausgrabungswesen, lernte sie alle Techniken und Methoden im Umgang mit "Kulturgütern im Boden": vom Vermessen des Geländes über das Freilegen von Mauern und Scherben bis zum Zeichnen und das Wichtigste, die Interpretation der Funde, also sie zum Sprechen zu bringen.
Vom Mindener Stadtkern bis zum Haus Herbede in Witten (Ennepe-Ruhr-Kreis), vom Heidenturm in Ibbenbüren (Kreis Steinfurt) bis zur Vituskirche in Hilchenbach (Kreis Siegen-Wittgenstein) hat die Mittelalter-Expertin seit 1974 hunderte archäologische Untersuchungen geleitet, von der kurzzeitigen Baustellenbeobachtung bis zur mehrjährigen Großgrabung.
"Daneben hat Gabriele Isenberg in den elf Jahren als Direktorin die umfassenden räumlichen Veränderungen der LWL-Archäologie für Westfalen maßgeblich mitgestaltet, nämlich den Neubau des LWL-Museums für Archäologie in Herne und den Umzug der Zentrale der LWL-Archäologie für Westfalen innerhalb Münsters. Und immerhin ist sie als erste und bislang einzige Frau in die Römisch-Germanische Kommission des Deutschen Archäologischen Instituts berufen worden," würdigte LWL-Direktor Dr. Wolfgang Kirsch die Verdienste der scheidenden Direktorin.
Standorte in Münster und Herne
1997 wurde Isenberg Direktorin der LWL-Archäologie für Westfalen. Seitdem versteht sie sich in besonderer Weise als Anwältin für die Zeugen der Vergangenheit im Boden, können diese laut Isenberg doch "in hervorragender Weise neue Geschichtsarchive erschließen und die schriftliche Überlieferung ergänzen und sogar korrigieren".
In den vergangenen Jahren hat Dr. Gabriele Isenberg Umzüge der LWL-Archäologie für Westfalen vorangetrieben. Nachdem das LWL-Archäologiemuseum 2003 nach Herne gezogen war, ziehen im Oktober 2008 die verbliebenen Teile der LWL-Archäologie für Westfalen, darunter die Direktion, die Verwaltung und die Bibliothek, aus Münsters Innenstadt in die sogenannte Speicherstadt nach Münster-Coerde. Die Aufgabe des Standortes in der Innenstadt Münsters an der Rothenburg war im Zuge des Aus- und Umbaus des LWL-Museums für Kunst- und Kulturgeschichte erforderlich geworden.
Die Standortverlagerung des LWL-Archäologiemuseums von Münster nach Herne habe sie "als Chance begriffen", sagt sie. Das in Herne 2003 eröffnete Landesmuseum zeigt mit rund 10.000 Funden die Geschichte der Menschen in der Region von der Steinzeit bis heute. Es feierte im März 2008 seinen fünften Geburtstag und zog bisher mehr als 400.000 Besucher an.
Hintergrund
Als Mittelalter-Expertin und seit 1981 Leiterin der LWL-Mittelalterarchäologie lagen Isenbergs Schwerpunkte vor allem in Kirchen, Stadtkernen und Klöstern, aber auch in einigen Burgen. Bei ihrer Ausgrabung 1974 in Minden wurde zum ersten Mal in Westfalen ein mittelalterlicher Stadtkern großflächig und in den natürlichen Schichten untersucht. Fünf Jahre dauerten die Ausgrabungen des LWL, in deren Verlauf die Geschichte der Stadt in wesentlichen Zügen erhellt wurde, was eine eigene große Wanderausstellung wert war.
Während Ihrer Direktionszeit hat die Archäologin die Einrichtung von Stadtarchäologien in den Städten mit einer komplizierter Entwicklung gefördert, z.B. in Soest und Dortmund, und die Zusammenarbeit der LWL-Archäologie mit dem Naturwissenschaftlichen Verein für Westfalen in Form von Tagungen und Publikationen vorangetrieben. Außerdem bildete sie Nachwuchswissenschaftler in der Mittelalter- und Neuzeitarchäologie aus. Denn obwohl 50 Prozent aller Ausgrabungen diese Epochen betreffen, gibt es für dieses Fach nur zwei Lehrstühle in ganz Deutschland. Um das Defizit auszugleichen entwickelte Isenberg ein methodisch-strategisches Konzept für die Mittelalter- und Neuzeitarchäologie, insbesondere für die Archäologie des 20. Jahrhunderts und die KZ-Archäologie.
Ausgrabungen
Großes Interesse bei der Bevölkerung erregten die Untersuchungen in der Kirche der Heiligen Ida (am 26. November 980 heilig gesprochen) in Lippetal-Herzfeld (Kreis Soest) von 1975 bis 1976. Die Archäologen interessierten sich besonders für den Bau, denn die erste Kirche gehörte zu den frühesten Steinkirchen Westfalens im 9. Jahrhundert. Für Aufsehen sorgte besonders ein leerer Steinsarkophag und die dazugehörige Grube. Es handelte sich um die ursprüngliche Ruhestätte der Ida, bevor ihre Gebeine unter den Altar umgebettet wurden. Das Ensemble mit den Spuren der ersten Kirche sind nun in der Krypta zu sehen.
Bei Höxter-Corvey (Kreis Höxter) legten die Mittelalter-Archäologen unter Leitung von Isenberg von 1975 bis 1980 das Kloster Tom Roden frei. Die Propstei, im 12. Jahrhundert gegründet und im 16. Jahrhundert aufgegeben, war nie überbaut worden. Deshalb gelang es, den vollständigen Grundriss einer mittelalterlichen Klosteranlage zu erhalten. Außerdem lernten die Archäologen das ausgeklügelte System der Wasserversorgung sowie verschiedene Typen von Heizungsanlagen kennen. Mit dem Nachweis dieser technischen Einbauten veränderten die Archäologen das Bild vom rückständigen "dunklen Mittelalter. Das Kloster, nur 800 Meter von der Reichsabtei Corvey entfernt gelegen, ist in Teilen wieder aufgemauert und der Öffentlichkeit zugänglich.
Auf dem Kohlbrink-Gelände in Soest erforschte Gabriele Isenberg von 1981 bis 1982 ein mittelalterliches Sälzerquartier. Hier hatte man spätestens seit dem 6. Jahrhundert Salz hergestellt. Mehr als 100 auf einem Teilstück ausgegrabene Öfen verdeutlichen, dass die Kapazität der gesamten Gewerbeanlage sehr hoch gewesen ist. Die Soester Sälzer haben somit auch den überregionalen Markt bedient.
Unter den Burgen ist besonders Haus Witten in Witten-Herbede (Ennepe-Ruhr-Kreis) zu nennen. Von 1985 bis 1991 untersuchten Isenberg und ihre Kollegen der LWL-Archäologie für Westfalen die Wasserburg aus dem 13./14. Jahrhundert komplett. Die bedeutendsten Funde machte das Team im Brandschutt eines Verlieses: Brustpanzer, Arm- und Beinschienen und andere Teile von Turnierrüstungen waren vollständig erhalten. Sie sind seit nun ein Schmuckstück im LWL-Museum für Archäologie, dem westfälischen Landesmuseum in Herne.
Auch in Münster selbst hat die promovierte Historikerin eine große Untersuchung geleitet. Im Stadtzentrum waren Ausgrabungen von 1986 bis 1989 nötig, bevor hier die Stadtbibliothek in ihren Neubau einzog. Die dreijährigen Untersuchungen legten die älteste Besiedlung Münsters außerhalb der Domburg frei. Seit dem 10./11. Jahrhundert hatten hier Wohnhäuser, Speicherbauten und Keller gestanden. Die Entwicklung konnten die Forscher bis hin zur Kaufmannsbebauung verfolgen, die sich im 18. Jahrhundert auf den Alten Steinweg ausrichtete.
Die letzte große Grabung (Isenberg: "Eine meiner Lieblingsgrabungen") liegt inzwischen 15 Jahre zurück: St. Peter und Paul in Marsberg-Obermarsberg (Hochsauerlandkreis) in den Jahren 1991, 1992 und 1994. Hier konnte sie nachweisen, dass die Kirche aus dem 13. Jahrhundert tatsächlich auf den Fundamenten der Peterskirche steht, die Karl der Große 785 in der ehemaligen Sachsenfestung Eresburg errichten ließ.
RSS-Feeds @ Archäologie Online
- Nachrichten
- Videos
- Podcasts