Konservierung, Präsentation und Publikation der herausragenden mittelalterlichen Stuckskulptur aus Gerbstedt

Projekt zur Bewahrung und Erforschung bedeutenden Kulturguts erfolgreich abgeschlossen

Im Bereich der ehemaligen Klosterkirche von Gerbstedt (Mansfeld-Südharz) kamen vor allem im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts nahezu 800 Fragmente von hochwertigen mittelalterlichen Stuckreliefs zum Vorschein, die sich größtenteils im Bestand des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt befinden. Dabei handelt es sich um einen der bedeutendsten Funde hochmittelalterlicher Stuckplastik in Mittel- und Westeuropa. Die großzügige Förderung der Ernst von Siemens Kunststiftung ermöglichte es, diesen bedeutenden Fundkomplex zu konservieren, wissenschaftlich zu erfassen und zu publizieren.

Drachenkopf aus Stuck
Kopf eines Drachen. Foto: © Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, Josep Soldevilla Gonzáles

Die Kirche des 985 gegründeten Gerbstedter Klosters stammte wohl aus der Zeit um 1100. Das Kloster stand unter der Schirmherrschaft der Wettiner, aus deren Haus auch einige Äbtissinnen des Konvents stammten. Im Laufe des 15. Jahrhunderts und des Dreißigjährigen Kriegs wurde die Kirche baufällig und stürzte 1650 ein, nur der Westabschluss mit zwei massiven Glockentürmen blieb erhalten. 1805 war das Bauwerk endgültig vom Erdboden verschwunden.

Mitte des 19. Jahrhunderts sowie in den 1970er und 1990er Jahren wurden im Bereich der ehemaligen Klosterkirche rund 800 Stuckfragmente aus dem Hochmittelalter geborgen. Neun von ihnen befinden sich heute im Bode-Museum zu Berlin. Daneben wurde im Laufe der aktuellen Forschungen überraschend ein Stuckköpfchen in den regionalgeschichtlichen Sammlungen der Lutherstadt Eisleben wiederentdeckt, das sich dem Gerbstedter Stuckkomplex zuordnen lässt. Die übrigen Fragmente werden im Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt aufbewahrt.

Dank der großzügigen Förderung der Ernst von Siemens Kunststiftung konnte der bedeutende und bis dahin noch kaum bekannte Fundkomplex seit 2020 konserviert, erforscht und erstmals öffentlich präsentiert werden. So ist eine repräsentative Auswahl der Gerbstedter Stuckfragmente seit 2021 Teil des neuen Abschnittes der Dauerausstellung des Landesmuseums für Vorgeschichte Halle (Saale). Im Vorfeld erfolgte ihre Restaurierung sowie die umfassende technologische, naturwissenschaftliche und kulturhistorische Untersuchung, deren Ergebnisse nun in einem zweibändigen Bestandskatalog vorliegen. Für das interdisziplinäre Projekt konnten Historiker, Restauratoren, Materialwissenschaftler, Geologen, Bauforscher und Kunsthistoriker gewonnen werden.

Die Stuckfragmente entstammen einer sehr umfangreichen plastischen Wandgestaltung im Chorbereich oder einer Vierung. Da aufgrund der Bebauung des Geländes der untergegangenen Kirche nur kleine Teile des Areals ausgegraben werden konnten, ist nur ein Bruchteil des ursprünglichen Kunstwerks überliefert.

Dennoch lassen die erhaltenen Fragmente Rückschlüsse darauf zu, dass es sich um eine überaus reiche und komplexe Stuckausstattung mit Szenen und figürlichen Darstellungen, Tier- und Rankenfriesen sowie umlaufenden Ornamentbändern gehandelt haben muss. Manche der Gerbstedter Friese bilden Bögen mit teilweise beträchtlicher Spannweite, so dass davon ausgegangen werden kann, dass sie größere Arkadenstellungen einfassten. Nachweislich befanden sich Einzelfiguren in den Bogenzwickeln, andere ragten aus dem eigentlichen Bildfeld in die Rahmung hinein. Die zahlreichen Drachenfiguren in Gerbstedt sind ornamentalen Charakters und reihen sich in für das 12. und frühe 13. Jahrhundert typische Gestaltungsprinzipien ein.

Von besonderer Bedeutung ist die bestechende Nähe der Gerbstedter Funde, in technischer sowie stilistischer Hinsicht, zu Stuckfragmenten aus der Stiftskirche zu Quedlinburg und der Klosterkirche in Clus bei Gandersheim. Übereinstimmungen in der Ausführung und in einzelnen Formen weisen darauf hin, dass hier vielleicht dieselbe Stuckwerkstatt verantwortlich zeichnete. In diesem Fall können erstmals Stuckausstattungen verschiedener Orte einer Werkstatt zugeordnet werden.

Die wissenschaftlichen Untersuchungen nahmen erstmals auch den Herkunftsort der Stuckfunde näher in den Blick. So konnte etwa anhand archäologischer Funde, Archivalien und Spolien sowie mit Hilfe von Vergleichen zum Beispiel mit der Stiftskirche zu Gernrode oder dem Dom zu Magdeburg die Gestalt der Gerbstedter Klosterkirche aus dem ausgehenden 11. oder beginnenden 12. Jahrhundert hypothetisch nachgezeichnet werden. Alte Pläne sowie Gebäudereste weisen darauf hin, dass die Wettiner hier eine der größten Kirchen der Region errichten ließen.

Diese und zahlreiche weitere wichtige Erkenntnisse enthalten die Aufsätze im vielseitigen ersten Band der Publikation »Kloster Gerbstedt. Stuck des Hochmittelalters«. Im Katalogband der nun vorliegenden knapp 500 Seiten umfassenden Publikation wird der Gerbstedter Fundkomplex der interessierten Öffentlichkeit sowie der Wissenschaft erstmals in Gänze zugänglich gemacht. Er ist vollständig mit hochwertigen Fotografien der interpretierbaren Fragmente ausgestattet. Eine beigegebene DVD enthält 3D-Scans ausgewählter Stücke aus der Dauerausstellung des Landesmuseums für Vorgeschichte und dem Bode-Museum. Darüber hinaus wird der Gerbstedter Stuckfund in einem separaten, reich bebilderten und 16 Beiträge umfassenden Aufsatzband aus restauratorischer, material -wissenschaftlicher, kunsthistorischer und archäologischer Sicht behandelt sowie in seinen (kultur-) historischen Kontext eingeordnet.

Publikation

Susanne Kimmig-Völkner und Elisabeth Rüber-Schütte (Hrsg.)

Kloster Gerbstedt. Stuck des Hochmittelalters

Beiträge zur Denkmalkunde 16. 2022

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