Ideal von Freiheit und Gleichheit stimulierte die Entstehung der ältesten Städte Europas
Antworten auf diese Frage gibt die kürzlich in der renommierten Fachzeitschrift Antiquity veröffentlichte Studie des Sonderforschungsbereichs (SFB) 1266 an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU). Die Ergebnisse deuten auf eine geringere soziale Ungleichheit an den Megastandorten hin. Erst nach mehreren Generationen kam es wieder zu einer stärkeren sozialen Differenzierung, was die anschließende Aufgabe der Megastätten erklären könnte. »Wir gehen davon aus, dass die neuartige soziale Organisation der Megastätten es der Bevölkerung ermöglichte, sich aktiv an politischen Entscheidungsprozessen zu beteiligen«, erläutert Dr. Robert Hofmann vom SFB 1266 und Erstautor der Studie. Ein solcher reformerischer Charakter könnte der Auslöser für die enorme Attraktivität dieser Siedlungen gewesen sein, in deren Folge sich eine große Zahl von Menschen diesen Gemeinschaften anschloss.
Hausgrößen geben Antworten
Der Wohlstand von Haushalten und die Größe von Häusern hängen in vielen Gesellschaften miteinander zusammen, daher stellen Hausgrößen einen Indikator für den wirtschaftlichen Status von Haushalten dar. Als Datengrundlage für die Studie dienten die Größen von rund 7.000 Häusern aus 38 Trypillia-Standorten. Die Häuser datieren in den Zeitraum zwischen 4.800 bis 3.000 vor unserer Zeit und stammen aus drei Regionen – dem heutigen Rumänien, Moldawien und der Ukraine. Die Daten wurden mit Hilfe des Gini-Koeffizienten ausgewertet, einem statistischen Maß für die Ungleichverteilung innerhalb einer Gruppe. »Wir haben die Variabilität der Hausgrößen in 38 Trypilia-Siedlungen genutzt, um anhand des Gini-Koeffizienten zu berechnen, wie sich das Niveau der Ungleichheit in den drei geographischen Regionen über 2.000 Jahre verändert hat«, erklärt Dr. Nils Müller-Scheeßel vom Institut für Ur- und Frühgeschichte der CAU. Die Ergebnisse der Berechnungen zeigen zwischen 4.300 und 3.800 vor unserer Zeit eine geringe Variabilität der Hausgrößen. Daraus lässt sich ableiten, dass in den Trypillia-Megasiedlungen in dieser Zeit eine geringe soziale Ungleichheit zu verzeichnen ist. Erst in der späten Phase der Megasiedlungen steigt die soziale Ungleichheit wieder an und erreicht ihren Höhepunkt nach dem Niedergang der Siedlungen um 3.600 vor unserer Zeit.
Gleichheit sorgte für soziale Stabilität
»Diese Entwicklung legt nahe, dass es in den Trypillia-Gemeinschaften wirksame Mechanismen zur Vermeidung sozialer Ungleichheit gegeben haben muss«, stellt Professor Dr. Johannes Müller Sprecher des SFB 1266 und Leiter der Studie fest. Dies kann Mechanismen zum Interessenausgleich und zur Umverteilung von Überschüssen beinhaltet haben. Die Entwicklung von Unterschieden in den Hausgrößen und politischen Institutionen lässt vermuten, dass sich die Möglichkeiten an politischen Entscheidungsprozessen teilzunehmen im Laufe der Zeit immer mehr verschlechterten und die ursprünglichen egalitären Prinzipien der Siedlungsgründer nach und nach aufgegeben wurden. Daraus folgte eine zunehmende soziale Differenzierung und Wohlstandsunterschiede entwickelten sich. »Unserer Meinung nach war dies ein entscheidender Faktor für das spätere allmähliche Verschwinden der großen Megasiedlungen,« sagt Dr. Robert Hofmann und schließt: »Das Phänomen der Megastätten steht damit in einer Reihe von historischen Beispielen, die zeigen, dass eine Zunahme der Komplexität von Gesellschaften nicht unbedingt mit einer Zunahme der vertikalen sozialen Differenzierung einhergeht. Das Entstehen und der Zerfall beruhten vielmehr auf demokratisch getroffenen politischen Entscheidungen der Individuen und Gemeinschaften, die in diesen riesigen Siedlungen lebten und sich schließlich entschlossen, sie zu verlassen.«
Publikation
Trypillia mega-sites: a social levelling concept?
Antiquity. 26.02.2024
DOI: 10.15184/aqy.2024.18
https://www.cambridge.org/core/journals/...
RSS-Feeds @ Archäologie Online
- Nachrichten
- Videos
- Podcasts