Früheste Städte Europas setzten auf Dünger und Pflanzenprotein
In der Waldsteppe nordwestlich des Schwarzen Meeres – heute das Gebiet der Republik Moldau und der Ukraine – entstanden vor etwa 6.000 Jahren Megasiedlungen der Tripolje-Kultur bzw. Trypillia-Gesellschaften auf Flächen von bis zu 320 Hektar. Sie waren mit rund 15.000 Einwohnerinnen und Einwohnern die bis dahin größten Siedlungen der Welt. In der Fachwelt gelten sie als die ältesten Städte Europas, älter noch als die Urbanisierung in Mesopotamien. Die Nahrungsversorgung dieser Megasiedlungen hatte den Forschenden bisher viele Fragen aufgegeben. Bisher bekannt war, dass die Versorgung vieler kleiner jungsteinzeitlicher Siedlungen durch bäuerliche Subsistenzwirtschaft geprägt war.
Die von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des SFB 1266 an der CAU, am 18. Dezember in der renommierten Fachzeitschrift PNAS veröffentlichte Studie gibt nun Antworten. »Die Versorgung der Bewohnerinnen und Bewohner der Megasiedlungen beruhte auf einem äußerst ausgeklügelten Nahrungs- und Weidemanagement«, sagt der Kieler Paläoökologe Doktor Frank Schlütz.
Erbsen: Die Proteinquelle der frühen Landwirtschaft
Fast jeder und jede kennt wohl die Geschichten um die Comicfigur Popeye, den Seemann, der seine Stärke angeblich der großen Vorliebe für Spinat verdankte. Wie wir heute wissen, hat die Wissenschaft den Wert dieses Gemüses lange Zeit viel zu hoch eingeschätzt. Ganz im Gegensatz dazu sind Erbsen aufgrund ihres hohen Gehaltes an Proteinen tatsächlich von hohem Vorteil für die menschliche Ernährung. Ihre Bedeutung wurde aber bislang von der Wissenschaft weit unterschätzt.
Denn schon die frühen Trypillia Ackerbäuerinnen und Ackerbauern, die vor fast 7.000 Jahren auf dem Gebiet der heutigen Ukraine und von Moldawien lebten, schätzten eine ganz überwiegend aus Getreide und Erbsen bestehende Ernährung, mit der sie auf Fleisch weitgehend verzichten konnten. Dies zeigt die aktuelle Studie der Universität Kiel die unter der Leitung des Archäologen Professor Johannes Müller gemeinsam mit Forschenden aus der Ukraine und Moldawien im Rahmen der aktuellsten Untersuchungen zu Trypillia-Gesellschaften durchgeführt wurde.
Frühe Landwirtschaft und Megasiedlungen
Diese auf Ackerbau und Viehzucht gestützten Gesellschaften bildeten sich etwa um 4.800 vor unserer Zeit in der Waldsteppe nördlich des Schwarzen Meeres. Ab etwa 4.150 vor unserer Zeit schufen die Menschen der Trypillia-Gesellschaft riesige planmäßige Siedlungen. Mit Flächen von bis zu 320 Hektar hatten sie die Ausdehnung von einigen hundert Fußballfeldern. Die Siedlungen waren dabei äußerst planmäßig angelegt. In ihnen lebten schätzungsweise bis zu 15.000 Menschen zusammen. Diese Megasiedlungen hatten eine klar strukturierte Gliederung in überschaubare Nachbarschaften mit Versammlungshäusern, in denen die zusammenkommenden Menschen bei gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen eingebunden und beteiligt waren. Die Blütezeit der Trypillia-Gesellschaft, mit ihren im Vergleich zu allen anderen damaligen Gesellschaften gigantischen Siedlungen, die als die frühesten Städte Europas gelten, hielt etwa 500 Jahre an. Erst als die Bevölkerung von Kommunikationsstrukturen abgekoppelt und Entscheidungsprozesse zentralisiert wurden, kam es zum Zusammenbruch.
Analysen von Kohlenstoff- und Stickstoffisotopen geben Antworten
Aufgrund der Größe der Siedlungen war das tägliche Leben in ihnen vergleichbar mit jenem anderer Agrarstädte, die Menschen demnach weitgehend Bäuerinnen und Bauern. Doch wie konnten so große Menschengruppen bei jungsteinzeitlicher Technologie ihre Ernährung sicherstellen? »Um diese Frage beantworten zu können, haben wir über die letzten 10 Jahre von hunderten Proben die Zusammensetzung ihrer Kohlenstoff- und Stickstoffisotope ermittelt«, so Johannes Müller.
Gemessen wurden vor allem die bei archäologischen Ausgrabungen freigelegten Tier- und Menschenknochen. »Diese Daten haben wir dann ganz gezielt durch Isotopenmessungen an verkohlten Erbsen und Getreidekörnern aus Bodenproben verschiedener Trypillia-Siedlungen ergänzt« berichtet die Archäobotanikerin Professorin Wiebke Kirleis.
Anhand der Isotope lassen sich Aussagen treffen, wie die Haustiere vor Jahrtausenden gehalten wurden, ob die angebauten Nutzpflanzen gedüngt wurden und welche Rolle Pflanzen und Tiere in der menschlichen Ernährung spielten.
Fast ausschließlich vegetarisch geprägt
»Wir kamen dabei zu der Überzeugung, dass ein großer Teil der Rinder und Schafe auf eingezäunten Weiden gehalten wurden. Und der dort anfallende Dung der Tiere wurde von den Menschen benutzt, um insbesondere die Erbsen intensiv zu düngen« schildert Frank Schlütz. Demnach bildeten Erbsen und Getreide die Hauptpfeiler einer nicht nur nahrhaften, sondern dank der Erbsen auch an essentiellen Aminosäuren ausgewogenen menschlichen Ernährung. Das anfallende Erbsenstroh dürfte zur Fütterung der Tierbestände auf den Weiden gedient haben. Wohl dank dieser engen Verzahnung von Pflanzenbau und Viehhaltung war es den Menschen der Megasiedlungen möglich, sich ausreichend und gesund zu ernähren. Dabei konnte auf die arbeitsintensive und Ressourcen zehrende Produktion von Fleisch weitgehend verzichtet werden. Die Gründe für den Niedergang der Siedlungen waren sozialer Natur, wie der Archäologe Doktor Robert Hofmann verrät: »Wie wir aus vorhergehenden Untersuchungen wissen, kam es infolge zunehmender sozialer Ungleichheit zu gesellschaftlichen Spannungen. Die Menschen kehrten den Großsiedlungen den Rücken zu und entschieden sich wieder für ein Leben in kleineren Siedlungen.« Um etwa 3.000 vor unserer Zeit verschwinden die Trypillia-Gesellschaften dann von der Bildfläche.
Publikation
Isotopes prove advanced, integral crop production and stockbreeding strategies nourished Trypillia mega-populations
Proceedings of the National Academy of Sciences (120). 18.12.2023
DOI: 10.1073/pnas.2312962120
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