Ein- und Ausblick in die Erforschung der Altsteinzeit
Die zehn etwa 300.000 Jahre alten »Schöninger Speere« sind die bisher ältesten erhaltenen Jagdwaffen der Menschheit. Ihre Entdeckung zwischen 1995 und 1999 im Braunkohletagebau Schöningen gilt als archäologische Sensation. Das Holz war über Jahrtausende im feuchten Boden unter Luftabschluss nahezu unversehrt geblieben. In ihren Wurfeigenschaften sind die uralten Holzspeere sogar modernen Wettkampfspeeren ebenbürtig. Weltweit gibt es keine Fundstelle aus der Altsteinzeit mit so vielen und so gut erhaltenen Speeren.
»In Schöningen gibt es noch viel mehr zu entdecken und zu erforschen«, sagte Gabriele Heinen-Kljajić, Niedersächsische Ministerin für Wissenschaft und Kultur beim Pressetermin am vergangenen Freitag. »Dass wir mit Senckenberg, der Universität Tübingen und der paläon GmbH renommierte und international vernetzte Partner für diese bedeutende Fundstelle in Niedersachsen gefunden haben, ist ein großer Gewinn für die Forschung und das Erlebniszentrum in Schöningen. Mit der heute geschlossenen Vereinbarung stellen wir die erfolgreiche Zusammenarbeit dieser Einrichtungen sicher. Dem Landesamt für Denkmalpflege danke ich für die großartige Grundlagenarbeit, die den heutigen Erfolg möglich machte.«
Anhand des gesamten Fundensembles, zu welchem auch Knochen von Wildpferden gehören, kann in Schöningen unter anderem die Besiedlung Nordeuropas besser nachvollzogen werden. Auch über das Leben des vermuteten Herstellers der Speere, dem Neandertaler-Vorläufer Homo heidelbergensis, können aufgrund der Funde neue Erkenntnisse gewonnen werden. »Unsere Ausgrabungen in Schöningen sollen an zwei Stellen fortgesetzt werden – dem "Speersockel" und der "Oberen Berme"«, erläuterte Prof. Nicholas Conard PhD., Leiter des Instituts für ältere Urgeschichte und Quartärökologie der Universität Tübingen und Senckenberg Centre for Human Evolution and Palaeoenvironment. Conard und sein Team erwarten weitere Funde von Hinterlassenschaften der damaligen Menschen, Homo heidelbergensis, in den 320.000 bis ca. 300.000 Jahre alten Sedimentschichten. Neben Stein- und Knochenartefakten, Knochen mit Schnittspuren oder von Menschen zerschlagenen Knochen hoffen die Forscher auch auf weitere Holzartefakte. »Und auch die weitgehend unverändert erhaltenen Knochen und Hölzer, sowie Pollen, Eierschalen, Insektenreste und vieles mehr, helfen uns, die damaligen Umweltverhältnisse zu rekonstruieren«, ergänzte Dr. Jordi Serangeli, Leiter der Ausgrabungen in Schöningen. So leisten die Funde von Schöningen einen einschlägigen Beitrag zur Erforschung der reichen Artenvielfalt in Mitteleuropa vor 300.000 Jahren sowie zur Erforschung des Lebensraums unserer frühen Verwandten.
Mit dem Erlebniszentrum, das von der paläon GmbH betrieben wird, haben die Forschungspartner eine Vereinbarung zur guten Zusammenarbeit der beiden Bereiche - Wissenschaft und Erlebniszentrum - verhandelt, die nun öffentlich unterzeichnet wurde. »Wir werden von Senckenberg beispielsweise bei der Konzeption verschiedener Veranstaltungen wissenschaftlich beraten. Zudem erhalten wir Funde und aktuelle Forschungsinhalte ohne Umwege und können diese direkt in unsere Sonder- und Dauerausstellungen einfließen lassen«, freuen sich Dr. Florian Westphal und Manfred Casper, Geschäftsführer der paläon GmbH. Für die Sonderausstellung zu den »Säbelzahnkatzen in Schöningen«, welche ab April 2017 zu sehen ist, wurde die nun offiziell unterzeichnete Kooperation bereits umgesetzt.
Ein zehnköpfiges Team ist dauerhaft mit den Grabungen in Schöningen beschäftigt – während der Hauptgrabungszeit kommen 5 bis 10 Studierende hinzu, die das wissenschaftliche Graben unterstützen. Weltweit forschen etwa 50 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus 30 unterschiedlichen Institutionen und den unterschiedlichsten Disziplinen an den Funden aus Schöningen. Zur Förderung, Unterstützung und Beratung der Forschungsarbeiten wurde ein international besetzter Wissenschaftlicher Beirat eingerichtet. »Wir sind sehr froh, dass die Forschungsstation Schöningen nun zur Senckenberg-Familie« gehört und wir so unseren Teil für eine internationale Sichtbarkeit leisten können«, resümierte Prof. Dr. Dr. h. c. Volker Mosbrugger, Generaldirektor der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung.
Das Kooperationsvorhaben war bei Bekanntwerden im vergangenen Sommer von verschiedenen Seiten, wie etwa dem Deutschen Verband für Archäologie (DVA) und dem Verband der Landesarchäologen (VLA), heftig kritisiert worden, weil das Niedersächsische Landesamt für Denkmalpflege (NLD) nicht einbezogen ist.
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