Ein Projekt zur Konservierung der Feuchtbodenfunde
Das baden-württembergische Alpenvorland birgt in Seen und Feuchtgebieten archäologische Fundstätten von besonderer Bedeutung. Optimale Erhaltungsbedingungen unter Wasser und im Moor erlauben erstaunlich lebendige Einblicke in den Lebensalltag jungsteinzeitlicher und bronzezeitlicher Dörfer. Die prähistorischen Pfahlbauten wurden im Juni 2011 von der UNESCO auf die Liste der Welterbestätten aufgenommen. Seit mehr als 150 Jahren werden hier sensationelle Fundgegenstände geborgen; beispielsweise wurden im Jahre 2009 Räder im Olzreuter Ried (Lkr. Biberach) entdeckt, die zu den frühesten Radfunden der Menschheitsgeschichte gehören. Diese einzigartigen und sehr fragilen Zeugnisse müssen nach ihrer Bergung aufwändig konserviert werden. Daher untersucht die Staatliche Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart in Kooperation mit dem Landesamt für Denkmalpflege (LAD) im Rahmen eines von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Projekts unter der Leitung von Prof. Dr. Gerhard Eggert seit Januar 2012 neue Konservierungsmittel mit modernsten Methoden auf ihre Eignung hin.
Anhand der Fundobjekte stellten die Fachleute gestern das Projekt erstmals in den Räumlichkeiten des LAD in Esslingen der Öffentlichkeit vor. "Steinbeile aus der Steinzeit kennen wir massenhaft, aber eine Bastsandale wie die 2009 in Sipplingen gefundene ist einzigartig", erläutert Dr. Helmut Schlichtherle, Leiter des Fachbereichs Unterwasser- und Feuchtbodenarchäologie im LAD. In herkömmlicher Erde zersetzen sich alle organischen Materialien in kurzer Zeit - wie auf einem Komposthaufen. Im Wasser können sich die Materialien aber über Jahrtausende erhalten, wenn auch stark abgebaut. Und hier liegt das Problem: Würde man z.B. einen Holzfund einfach trocknen lassen, würde er bis zur Unkenntlichkeit schrumpeln und reißen. Der Ausweg für die Restauratoren des LAD unter Leitung von Dipl.-Restauratorin Nicole Ebinger-Rist ist die sog. Gefriertrocknung. Dabei wird nach Vortränkung mit einer Lösung zur Stabilisierung das Wasser direkt aus den zuvor eingefrorenen Objekten entzogen.
Was dabei aber im Einzelnen in den Objekten vor sich geht, ist selbst für Experten noch nicht vollständig nachvollziehbar und daher zentrales Forschungsthema des dreijährigen DFG-Forschungsprojekt. Dabei schaut sich Ingrid Wiesner, Restauratorin am LAD und Doktorandin an der Akademie, die Vorgänge direkt in einem Gefriertrocknungsmikroskop an. Wiesner bringt beste Voraussetzungen mit: Schon in ihrer Diplomarbeit an der Akademie befasste sie sich mit Gefriertrocknung von Lederfunden und setzte dazu u. a. ein Elektronenmikroskop ein. Mit der optischen Gefriertrocknungsmikroskopie wird nun ein Instrument für die Konservierung archäologischer Funde eingesetzt, das am pharmazeutisch-technischen Institut der Uni Erlangen für die Kontrolle der Arzneimittelherstellung entwickelt wurde. Fragen, um die es dabei geht, sind beispielsweise: Gibt es bessere Vorbehandlungsmittel als das bisher meist verwendete Polyethylenglykol? Welche Temperaturen müssen eingehalten werden, damit die Objekte nicht ungewollt auftauen? Dazu soll das Mikroskop Ingrid Wiesner direkten Einblick gewähren: "Verschiedene Faktoren beeinflussen die theoretischen Ergebnisse, und diese muss man kennen."
Prof. Dr. Gerhard Eggert, Physikochemiker und Leiter des Studiengangs für Objektrestaurierung an der Kunstakademie Stuttgart, erläutert dazu: "Die einzigartigen Funde des LAD müssen optimal konserviert werden. Dazu brauchen wir nicht nur wissenschaftlich ausgebildete Restauratoren, wir müssen auch die Vorgänge bei der Konservierung besser verstehen." Wie in der Medizin müssten Diagnose und Therapie ständig verbessert werden. Für Dr. Jörg Bofinger, Leiter des Referats Archäologische Denkmalpflege: Zentrale Fachdienste und Restaurierung im LAD, ist das selbstverständlich: "Mit der Ausgrabung übernehmen wir die Verantwortung für die Bewahrung der 'Erbstücke' unserer Vorfahren. Ohne sie würde unsere Gesellschaft an Gedächtnisschwund leiden."
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