Ein neues Wörterbuch der Keilschriftsprachen
Wie Witterungsspuren sehen sie aus, die Kerben und Punkte in den kleinen Tontafeln. Doch es handelt sich um bis zu 5.000 Jahre alte Zeugnisse vergangener Kulturen, geschrieben in Keilschrift. Was von ca. 3200 vor bis ca. 75 nach Christus im Vorderen Orient mit dem Griffel in feuchten Ton gedrückt oder auch in Stein gemeißelt wurde, waren Verwaltungstexte, Kaufurkunden, Königsinschriften, diplomatische Korrespondenz, literarische Werke und sogar erste Lexika. "Sumerisch, die älteste Keilschriftsprache, wurde schon um 2000 vor Christus zur Kult- und Gelehrtensprache", sagt Prof. Krebernik. "Im Alltag wurde es durch das Akkadische ersetzt", ergänzt der Altorientalist, der zu den profundesten Kennern der Keilschriftsprachen gehört. Er weist darauf hin, dass diese Sprache bis heute nicht völlig erloschen ist, da einige Wörter von damals bis in Sprachen der Gegenwart überlebt haben.
Schwerpunkt des neuen Forschungsvorhabens ist die zweitälteste überlieferte Keilschriftsprache: das zur semitischen Sprachfamilie gehörige Akkadisch. Neben Akkadisch gehören beispielsweise auch Arabisch und Hebräisch zur semitischen Sprachfamilie. Die Wissenschaftler werden nun "das umfassendste etymologische Wörterbuch einer semitischen Sprache" bzw. das zweite überhaupt verfassen, freut sich Krebernik auf die bevorstehende Arbeit. Es wird den gesamten akkadischen Wortschatz mit Angaben zu Bedeutung, Wortbildung, Herkunft, Verwandtschaft und Nachleben der Wörter enthalten. "Im Rahmen eines in Leipzig durchgeführten Teilprojekts werden wir die überlieferten akkadischen Texte durchforsten und Jagd auf neue Wörter machen", erzählt der Jenaer Experte. Denn obwohl zwei umfangreiche Akkadische Handwörterbücher existieren – deren letzte Bände nach über 50-jähriger Bearbeitungszeit erst vor wenigen Jahren erschienen sind –, werden noch immer neue akkadische Texte bei Ausgrabungen entdeckt.
Besonderes Augenmerk legen die Sprachforscher auf Wörter, die aus Nachbarsprachen stammen oder in andere Sprachen übernommen worden sind. Sie ermöglichen es, Rückschlüsse auf die Kulturgeschichte des Vorderen Orients zu ziehen. Immerhin strahlte das in Mesopotamien beheimatete Akkadische im 2. Jahrtausend v. Chr. auf weite Teile des Vorderen Orients aus und war die Sprache der geistigen und politischen Elite – vergleichbar mit Französisch im Europa des 18. Jahrhunderts. Auch im Deutschen gebe es Überreste der alten Keilschriftsprache, erklärt Krebernik. So stamme z. B. "Mine" als Bezeichnung für ein Gewichtsmaß ursprünglich aus dem Akkadischen.
Der Jenaer Teil des internationalen Teams wird sich in den kommenden Jahren zudem mit Eblaitisch befassen, einer mit dem Akkadischen eng verwandten und bisher noch nicht lexikographisch erfassten Keilschriftsprache. Es war eine Sternstunde der Archäologie, als 1975 italienische Archäologen in der antiken Stadt Ebla im heutigen Nordsyrien königliche Archive aus dem 24. Jh. v. Chr. entdeckten. Die Texte auf den dort ausgegrabenen Tontafeln enthüllten eine bis dahin unbekannte Sprache, die die Forscher nach ihrem Fundort benannten. "Die archaische Keilschriftorthographie macht es sehr schwierig, Eblaitisch vollständig zu entschlüsseln", deutet der erfahrene Keilschriftexperte Krebernik die damit verbundenen Probleme an. Bis heute sei es zudem umstritten, ob Eblaitisch ein akkadischer Dialekt oder eine eigene Sprache darstelle. Die Ergebnisse ihrer Untersuchungen der eblaitischen Sprache werden die Forscher in das geplante akkadische Wörterbuch integrieren und nebenbei auch das erste Lexikon für Eblaitisch anfertigen. Das gesamte "Etymological Dictionary of Akkadian" – so der Titel des Werkes – wird in Druckform beim renommierten de Gruyter-Verlag erscheinen und später auch online zugänglich gemacht.
Die DFG fördert die Forschungen in den ersten drei Jahren mit annähernd 870.000 Euro, womit u. a. vier wissenschaftliche Mitarbeiter finanziert werden können.
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