Digitale Dokumentationsmethoden helfen bei der Bergung des Kolosses
Seit Ende letzter Woche Kopf und Torso einer kolossalen altägyptischen Herrscherstatue aus dem Schlamm einer deutsch-ägyptischen Notgrabung in Heliopolis auftauchten, schaut die Welt nach Matariya, einem der ärmeren Stadtteile von Kairo. Dr. Dietrich Raue von der Universität Leipzig, der die Grabung gemeinsam mit Dr. Aiman Ashmawy vom ägyptischen Antikenministerium leitet, ist überwältigt: "Diese Skulptur aus Quarzit ist kunsthistorisch von höchster Bedeutung. Sie wird uns eine Menge neuer Erkenntnisse über den Tempelbezirk des Sonnengottes in Heliopolis bringen."
Entsprechend erfreut sind auch Prof. Kai-Christian Bruhn und sein Projektmitarbeiter Thomas Graichen vom i3mainz, Institut für Raumbezogene Informations- und Messtechnik an der Hochschule Mainz über die Ereignisse der vergangenen Tage: "Wir haben von unseren Büros in Mainz aus verfolgen können, wie die Dokumentationsmethoden, die wir letztes Jahr gemeinsam entwickelt haben, die rasche und fachgerechte Bergung unterstützen konnten." Ihre Aufgabe in dem Projekt ist es, in möglichst kurzer Zeit die Funde so vollständig wie möglich zu dokumentieren, denn auf dem Grabungsareal soll eigentlich schon längst gebaut werden. Zeit für langwierige Mess- und Zeichenarbeiten bleibt den Archäologen daher nicht. Bruhn und Graichen entwickelten ein Konzept, wie dieser Ablauf mit Hilfe digitaler Anwendungen optimiert werden kann. Dass es dabei nicht einfach nur um den Einsatz spezieller moderner Messverfahren geht, betont Bruhn: "Die Archäologie hat erkannt, dass auf Grabungen nicht einfach immer nur Unmengen digitaler Daten erzeugt werden können, ohne eine Strategie, wie diese auch langfristig einer wissenschaftlichen Diskussion zur Verfügung gestellt werden können. Unser Konzept umfasst daher die ganze Kette von der Erfassung zuverlässiger 3D-Information bis zur Aufbereitung der Daten für eine sachgemäße Publikation und langfristige Archivierung." Dieses Konzept erlebte bei dem jüngsten Sensationsfund, bei dem sich die Ereignisse förmlich überschlugen, nun seine Nagelprobe und bestand sie.
Seit über zwei Jahrzehnten sammelt Raue alle verfügbaren Informationen zu dem Heiligtum und seine Priestern, deren Gräber teilweise erhalten sind. Die Bedeutung des Kultplatzes führte außerdem dazu, dass auf Inschriften im ganzen Niltal Hinweise auf den Ort erhalten sind. Heute ragt nur noch ein Obelisk aus dem großflächigen Antikengebiet heraus. Der Leipziger Ägyptologe hat so über die Jahre ein sehr detailliertes Bild von den verschiedenen Bauten in dem Heiligtum gewonnen, das über dem mythischen Urhügel, auf dem nach der altägyptischen Mythologie die Welt erschaffen wurde, errichtet worden sein soll.
Gemeinsam mit den Verantwortlichen der ägyptischen Altertümerverwaltung führt Raue seit 2012 systematische Untersuchungen vor Ort durch. Trotz des hohen Grundwasserspiegels, der seit der Antike viele Meter gestiegen ist, gelangen dem Team mit einer Mischung aus naturwissenschaftlichen Verfahren und gezielten Grabungen unter Einsatz von Pumpen wichtige Erkenntnisse zu der Lage der Gebäude im Heiligtum. Diese Arbeiten waren die Voraussetzung für die Förderung eines umfangreichen Forschungsprojekts durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), das im vergangenen Jahr in Angriff genommen wurde. "Ich bin froh, dass wir mit Kai-Christian Bruhn von der Hochschule Mainz einen Kooperationspartner für das DFG-Projekt gewonnen haben, der die digitale Aufbereitung der vielfältigen Informationen sicherstellt".
Thomas Graichen ergänzt: "Hier kommen besondere Fotografie-Methoden ins Spiel, die nicht nur wertvolle Zeit im Feld sparen, sondern auch die Erstellung eines hochauflösenden, virtuellen Abbildes der aufgenommen Objekte ermöglichen. Man spricht hierbei von digitaler Photogrammetrie. Mithilfe einer Fotoserie und einer speziellen Software kann ein archäologisches Objekt mit wenig technischem Aufwand in seiner räumlichen Position erfasst werden." Auf dieser Grundlage lässt sich eine dichte Messpunktwolke erzeugen, aus der in einem weiteren Schritt eine vermaschte Oberfläche mit einer Fototextur erstellt wird.Vergangenes Frühjahr hatte Graichen das Grabungsteam nach Kairo begleitet, um das System an die besonderen Umstände der Grabung anzupassen und die Archäologinnen und Archäologen vor Ort einzuarbeiten. Seit Sommer 2016 wird diese Aufnahmetechnik unter Mainzer Betreuung in allen Grabungsabschnitten eingesetzt.
Die Statue mit einer Inschrift, die den Pharao Psammetich I (664-610 v. Chr.) nennt, stand in der Nähe des Eingangs in das Heiligtum vor einem Tempel, den Ramses II. errichten ließ und der zu einer Gruppe von weiteren Gebäuden gehörte, die den Weg zum Haupttempel flankierten. "Unser Ziel ist es, die gesammelten Daten aktueller und vergangener Grabungen in einem Geographischen Informationssystem zusammenzuführen", erklärt Bruhn. "Wie bei einem riesigen 3D-Puzzle soll dort das Kultzentrum des Sonnengottes in Heliopolis wenigstens teilweise digital wieder erfahrbar gemacht werden."
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