Der Artemidor-Papyrus kommt nach Berlin
Er ist in mehrfacher Hinsicht von Bedeutung: Er enthält einen literarischen Text, der bisher nicht bekannt war, eine Landkarte sowie Zeichnungen von menschlichen Köpfen, Händen und Füßen sowie von exotischen Tieren. Der Schrift nach zu urteilen stammt der Papyrus wahrscheinlich aus dem 1. Jh. v. Chr. Erhalten sind mehrere Fragmente, die zu einer ursprünglich mehr als 2,50 m breiten und 32,5 cm hohen Papyrusrolle gehörten.
Gefunden wurden diese zusammen mit mehreren dokumentarischen Papyri aus dem 1. Jh. n.Chr. im oberägyptischen Dorf Antaiupolis. Ob die Rolle auch dort beschrieben war, ist noch unsicher. Angesichts der kalligraphischen Schrift und der hohen Qualität der Zeichnungen könnte man auch an Alexandria denken.
Die Vorderseite der Rolle (Rekto) war zunächst mit Textpassagen des griechischen Geographen Artemidor beschrieben worden, der im 2. Jh. v.Chr. in Ephesos geboren war und um die Wende zum 1. Jh. v.Chr. seine Blütezeit hatte. Bekanntheit erlangte er durch seine Forschungsreisen an die Küsten der bekannten Meere. Nach Aussage späterer Geographen hatte Artemidor das gesamte Mittelmeer befahren und war sogar über die Säulen des Herakles hinaus bis zum "Okeanos" gelangt, womit der Atlantische Ozean gemeint ist, den man in der Antike für das Ende der Welt hielt. Das Hauptwerk des Artemidor war in der Antike unter den Titeln "Geographie" und "Küstenfahrt" bekannt und bestand aus 11 Büchern, in denen er die gesamte bekannte Welt beschrieb, wobei er den Daten über die Lage der Orte auch historische und ethnographische Informationen hinzufügte. So konnte Strabon, der bekannteste Geograph der Antike, das Werk geradezu als "Chorographie", d.h. "Ortskunde", bezeichnen. Von späteren Geographen wurde vor allem die Glaubwürdigkeit von Artemidors Angaben, insbesondere die Genauigkeit in seinen Maßangaben, gerühmt.
Überliefert waren von dem Werk des Artemidor bisher nur einige Fragmente durch Zitate bei spätantiken Autoren. Durch den neuen Papyrus sind nun zwei längere Passagen erhalten, in den Kolumnen 1-3 das Vorwort über die Bedeutung der Geographie und die Aufgaben des Geographen, in den Kolumnen 4-5 der Beginn des zweiten Buches mit der Beschreibung Spaniens. In diesem erläutert Artemidor zunächst die Namen des Landes (Hispania und Iberia) und die politische Einteilung in Provinzen, erklärt dann dessen landschaftliche Gestalt im allgemeinen und beschreibt schließlich detailliert den Küstenverlauf vom Fuß der südlichen Pyrenäen im Uhrzeigersinn über Emporion (heute Empùries), Neu-Karthago (heute Cartagena) und Gadeira (heute Cádiz) bis zum "Großen Hafen", der heutigen Bucht von A Coruña am westlichen Beginn der Nordküste. Artemidor zählt zahlreiche Küstenorte und Landmarken auf, die man bei Umschiffung Spaniens wahrnehmen konnte, und gibt die Entfernung zwischen ihnen in Stadien an. Zwischen den beiden genannten Textpassagen wurde bei Beschriftung der Rolle ein breiter Freiraum gelassen, in den später eine Landkarte eingefügt wurde. Sie besteht aus einfachen Linien zur Kennzeichnung von Straßen oder Kanälen, breiten Doppellinien zur Bezeichnung von Flußläufen sowie Vignetten für Ortschaften. Kleine Quadrate, die in regelmäßigen Abständen entlang der Flüsse und Straßen aufgereiht sind, könnten Post- oder Militärstationen bezeichnen. Selbst einige Bäume und ein Gebirgszug sind zu erkennen.
Da die Karte nicht mit Orts- oder Flußnamen beschriftet ist, erweist sich eine Identifizierung der dargestellten Region als sehr schwierig. Es ist aber anzunehmen, daß die Karte in inhaltlichem Zusammenhang mit dem geographischen Text steht. In jedem Fall handelt es sich um die älteste originale Landkarte, die uns aus der griechisch-römischen Antike überliefert ist.
Aus irgendeinem Grund wurde die Zeichnung der Karte allerdings nicht vollendet. Das begonnene geographische Fachbuch blieb zwar wohl in dem Kunstatelier, wo die Landkarte angefertigt worden war, wurde jedoch -wahrscheinlich einige Zeit später- einem anderen Zweck zugeführt. Die freien Flächen neben und zwischen den Schriftkolumnen und der Landkarte wurden nunmehr zu Zeichenstudien verwendet: Menschliche Köpfe, Hände und Füße sind kunstvoll in verschiedenen Ansichten dargestellt. Möglicherweise sind dies Abzeichnungen klassischer oder hellenistischer Statuen oder Porträts. Der links neben der ersten Kolumne im Profil dargestellte Kopf erinnert etwa an Götterbilder.
Auf die Rückseite der Rolle (Verso) sind dagegen in hervorragender Qualität zahlreiche Tiere verschiedener Arten gezeichnet und mit Legenden versehen worden, darunter Giraffe, Löwe, Tiger, Leopard, Elefant, Sägefisch und die ägyptische Fuchsgans, aber auch Phantasietiere wie der "Sternenhund" und das "Pantherkrokodil". Manche insbesondere die wilden Tiere sind in Kampfszenen dargestellt; so sind etwa ein Seeungeheuer und ein Schwertfisch ineinander verkeilt. Bei dem ganzen Komplex könnte es sich um einen Musterkatalog zur Gestaltung von Mosaiken oder Wandmalereien handeln.
Noch ist die gesamte Geschichte der Papyrusrolle nicht völlig geklärt, verschiedene Interpretationen scheinen möglich. Am 13. März 2008 diskutierten Experten verschiedener Disziplinen während eines Kolloquiums über den kulturgeschichtlichen Kontext, zu dem der Papyrus gehört. Grundlage der wissenschaftlichen Diskussion ist die vollständige Edition des Papyrus durch die Papyrologen Bärbel Kramer und Claudio Gallazzi, die in Berlin präsentiert wurde.
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