Den Ursprüngen des Apfels auf der Spur

Jüngste archäologische Funde konservierter Apfelsamen in Europa und Westasien erzählen in Kombination mit historischen, paläontologischen und kürzlich veröffentlichten genetischen Daten eine neue faszinierende Geschichte einer unserer bekanntesten Früchte. In einer neuen Studie verfolgt Robert Spengler vom Jenaer Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte die Geschichte des Apfels zurück zu ihren Ursprüngen.

Pferde in den Tien Shan Bergen Kasachstans beim Fressen wilder Äpfel
Pferde in den Tien Shan Bergen Kasachstans beim Fressen wilder Äpfel. Diese domestizierten Pferde zeigen den Prozess der Samenausbreitung, den wilde Apfelbäume vor Millionen von Jahren entwickelten, als große monogastrische Säugetiere wie dieser über ganz Eurasien verbreitet waren. (© Artur Stroscherer)

Der Apfel ist vermutlich die bekannteste Frucht der Welt. Er wird in den gemäßigten Klimazonen auf der ganzen Welt angebaut und seine Geschichte ist eng mit der des Menschen verbunden. Darstellungen von großen roten Früchten in der klassischen Kunst zeigen, dass domestizierte Äpfel bereits vor mehr als zwei Jahrtausenden in Südeuropa vorkamen, und konservierte Apfelkerne aus archäologischen Stätten zeugen davon, dass Menschen seit mehr als zehntausend Jahren Wildäpfel in ganz Europa und Westasien sammelten. Klar ist, dass Menschen die Wildapfelbestände seit Jahrtausenden intensiv gepflegt haben. Der Prozess der Domestikation und der evolutionäre Wandel dieser Bäume durch die Domestikation ist jedoch wenig erforscht.
Die wilden Äpfel im Tien Shan-Gebirge stellen die Hauptpopulation der Vorfahren für unsere heutigen Äpfel dar. Diese Bäume tragen große, häufig rote Früchte mit unterschiedlichen Geschmacksvarianten. Dies waren die Vorfahren der Bäume, welche die Menschen zuerst zu kultivieren begannen und entlang der Seidenstraße verbreiteten. Bild vergrößern

Mehrere neuere genetische Studien haben gezeigt, dass der moderne Apfel eine Mischung (Hybrid) aus mindestens vier Wildapfelarten ist, und es wurde in der Forschung die These entwickelt, dass diese Arten über die Handelsrouten der Seidenstraße zusammengebracht und miteinander vermischt wurden. Überreste von Äpfeln in Form konservierter Apfelkerne wurden in archäologischen Stätten in ganz Eurasien gefunden, und diese Entdeckungen stützen die Annahme, dass Obst- und Nussbäume zu den Waren gehörten, die auf diesen frühen Handelsrouten bewegt wurden. Die archäobotanischen und historischen Belege für Kulturpflanzen auf der Seidenstraße hat Spengler in seinem Buch "Fruit from the Sands" zusammengestellt, das in Kürze erscheinen wird. Der Apfel hat eine tiefe Verbindung zur Seidenstraße - ein Großteil des genetischen Materials für den modernen Apfel stammt aus dem Herzen der alten Handelsrouten im Tien Shan-Gebirge Kasachstans. Darüber hinaus verursachte der Austausch den Prozess der Hybridisierung, der zur Entwicklung der großen, roten, süßen Früchte auf unseren Märkten führte.

Das Verständnis, wie und wann Apfelbäume begannen größere Früchte zu tragen, ist für die Forschung bedeutsam, denn die Domestikation von Obstbäumen scheint nicht auf die gleiche Weise erfolgt zu sein, wie die anderer Kulturpflanzen, zum Beispiel Getreide oder Hülsenfrüchte, deren Domestikation besser erforscht ist. Unterschiedlichste natürliche und menschliche Einflussfaktoren üben selektiven Druck auf die Pflanzen auf unseren Feldern aus, und es ist nicht immer einfach zu rekonstruieren, welcher Einfluss welche evolutionäre Veränderung verursacht hat. Deshalb kann der Blick auf die evolutionären Prozesse bei modernen und fossilen Pflanzen der Forschung helfen, den Prozess der Domestikation zu verstehen. Fleischige süße Früchte entwickelten sich, um Tiere zum Fressen anzulocken und ihre Samen so zu verbreiten; große Früchte entwickeln sich speziell, um große Tiere anzulocken.

Die meisten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sich mit Domestikation beschäftigen, konzentrieren sich auf die Periode, in der Menschen erstmals begannen eine Pflanze zu kultivieren. Spengler dagegen untersucht in dieser Studie die Prozesse in der Natur, welche die Voraussetzungen für die Domestikation schaffen. Das Verständnis des Evolutionsprozesses großer Früchte in der Natur wird uns, Spengler zufolge, helfen, den Prozess ihrer Domestikation zu verstehen. "Wenn man Früchte als evolutionäre Anpassungen für die Saatgutverteilung betrachtet, stellt das Wissen, welchen Tieren diese Früchte in der Vergangenheit als Futter dienten, den Schlüssel zum Verständnis der Entwicklung dieser Früchte dar", erklärt Spengler.

Viele Obstpflanzen der Apfelfamilie (Rosaceae), wie zum Beispiel Kirschen, Himbeeren und Rosen, tragen kleine Früchte. Diese kleinen Früchte können leicht von Vögeln geschluckt werden, welche dann die Samen verteilen. Die Früchte anderer Bäume der Familie, wie Äpfel, Birnen, Quitten und Pfirsiche, entwickelten sich jedoch zu einer Größe, die es unmöglich machte, dass ein Vogel ihre Samen verteilt. Fossile und genetische Belege zeigen zudem, dass sich diese großen Früchte bereits mehrere Millionen Jahre vor dem Beginn der Kultivierung durch den Menschen entwickelten. Wen also sollten diese großen Früchte anlocken?

Heute fressen nur einige wenige große Säugetiere Äpfel, wie Bären und domestizierte Pferde. Vor dem Ende der letzten Eiszeit vor etwa zwölftausend Jahren gab es jedoch sehr viel mehr große Säugetierarten auf dem europäischen Festland, wie Wildpferde und große Hirsche. Es gibt Hinweise darauf, dass die Samenausbreitung der großfruchtigen wilden Verwandten des Apfels in den letzten zehntausend Jahren gering war, da viele dieser Tiere ausgestorben sind. Zudem scheinen sich Wildapfelbestände geografisch mit eiszeitliche Rückzugsräumen zu decken. Dies deutet darauf hin, dass diese Pflanzen nachdem die ursprünglichen Verbreiter ihres Saatguts verschwunden waren, sich nicht über weite Strecken ausbreiten oder neue Gebiete kolonisieren konnten.

Die Bestände an Wildapfelbäumen waren nach dem Ende der letzten Eiszeit voneinander isoliert, bis der Mensch begann, die Früchte durch Eurasien, insbesondere entlang der Seidenstraße, zu transportieren. Als der Mensch diese verschiedenen Abstammungslinien wieder miteinander in Kontakt gebracht hatte, erledigten Bienen und andere Bestäuber den Rest der Arbeit. Die daraus resultierenden Hybrid-Nachkommen hatten größere Früchte, ein häufiges Ergebnis der Hybridisierung. Die Menschen bemerkten die größeren Früchte und verstärkten diese Eigenschaft durch Veredelung und durch das Pflanzen von Stecklingen der beliebtesten Bäume. So entstanden die heute bekannten Äpfel in erster Linie nicht durch einen langen Prozess der Selektion und Verbreitung von Samen der beliebtesten Bäume, sondern durch Vermischung und Veredelung. Dieser Prozess kann relativ schnell abgelaufen sein und war teilweise wahrscheinlich nicht beabsichtigt. Die Tatsache, dass Apfelbäume Hybride sind und nicht "richtig" domestiziert wurden, ist der Grund, warum dort, wo wir einen Apfelkern pflanzen oft ein Wildapfel-Baum wächst.

Diese Studie stellt die Definition von "Domestikation" in Frage und zeigt, dass es kein allgemeingültiges Modell gibt, das die Entwicklung von Pflanzen unter menschlicher Kultivierung erklärt. Bei einigen Pflanzen dauerte die Domestikation unter dem vom Menschen ausgeübten Selektionsdruck Jahrtausende - bei anderen Pflanzen führte die Hybridisierung zu einem schnellen morphologischen Wandel. "Der Domestizierungsprozess ist nicht bei allen Pflanzen gleich, und wir wissen immer noch wenig über diesen Prozess bei Bäumen, bei denen die Generationen im Abstand vieler Jahre aufeinander folgen", sagt Spengler. "Es ist wichtig, dass wir bei der Erforschung der Domestikation von Pflanzen nicht nur einjährige Gräser, wie Weizen oder Reis, betrachten. Es gibt Hunderte andere domestizierte Pflanzen auf der Welt, die auf vielen verschiedenen Wegen domestiziert wurden." Letztlich scheint der Apfel in unserer Küche seine Existenz ausgestorbenen grasenden Landsäugetieren und den Händlern der Seidenstraße zu verdanken.

Publikation

Robert N. Spengler III

Origins of the Apple: The Role of Megafaunal Mutualism in the Domestication of Malus and Rosaceous Trees

Frontiers in Plant Science. 27.5.2019
DOI: 10.3389/fpls.2019.00617

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