Den Sarazenen auf der Spur
In Zusammenarbeit mit dem Cologne Center for eHumanities (CCeH) der Universität zu Köln ist eine neuartige Zusammenstellung von Quellen entstanden, die sich den sogenannten Sarazenen widmet – mittelalterlichen Bevölkerungsgruppen muslimischen Glaubens. Von der Plattform sollen Forschende, Studierende und die interessierte Öffentlichkeit profitieren. Die daraus entstehenden neuen Forschungsfragen und -ergebnisse haben eine Relevanz für die Gegenwart, zum Beispiel bei der Erforschung von Kommunikations- und Globalisierungsprozessen oder der Geschichte der christlich-muslimischen Beziehungen. Die Webseite ist jetzt online und öffentlich zugänglich.
Im 7. Jahrhundert nahm die Expansion der Araber ihren Anfang und führte sie bis auf das europäische Festland. So kam es vermehrt zu Kontakten zwischen der ansässigen christlichen Bevölkerung des westlichen Europas und Muslimen, die von den christlichen Autoren als Sarazenen bezeichnet werden. Die Begegnungen, zum Beispiel auf Handels-, Gesandtschafts- oder Pilgerreisen, aber auch bei militärischen Konflikten, sind in lateinisch-christlichen Werken des früheren Mittelalters beschrieben und bis heute überliefert.
Suchen Historikerinnen und Historiker nach den für sie relevanten Textstellen in einzelnen Werken, sind sie in der Regel lange damit beschäftigt. Einen neuen Zugang schafft jetzt das Repertorium Saracenorum (Repertorium = schriftliches Verzeichnis), kurz "Sarazenen-Wiki". Dort werden die Berichte über Sarazenen zusammengetragen, elektronisch erfasst und in verknüpfter Form online veröffentlicht. "Das macht eine direkte Analyse des Materials und darauf aufbauende neue Forschungsfragen möglich", betont Prof. Dr. Matthias Becher vom Institut für Geschichtswissenschaft der Universität Bonn.
Auf den ersten Blick sieht die Webseite aus wie das Online-Lexikon Wikipedia. "Darin sehen wir eine große Chance, da die Oberflächenstruktur vielen Usern bereits bekannt ist", sagt Dr. Katharina Gahbler vom Institut für Geschichtswissenschaft der Universität Bonn, die das Sarazenen-Wiki unter Mitarbeit von Lukas Müller von Bonner Seite federführend mitentwickelte. Das Herzstück des Wikis sind die einzelnen Werke und dazugehörenden Quellenstellen. In weiteren Kategorien finden sich Auflistungen über die Verfasserinnen und Verfasser der Werke, die darin genannten Personen und Orte sowie die Regionen, in denen die Werke erstellt wurden. Darüber hinaus sind bestimmte thematische "Auffälligkeiten", zum Beispiel Kampfhandlungen, vermerkt. Die Quellen sind mit externen Daten verlinkt wie der Gemeinsamen Normdatei der Deutschen Nationalbibliothek und der internationalen Datenbank Getty Thesaurus of Geographic Names.
Der besondere Clou: Mithilfe von interaktiven Weltkarten können sich Nutzerinnen und Nutzer zum Beispiel anzeigen lassen, wo die Kontakte und Konflikte besonders intensiv wahrgenommen wurden oder wie weit relevante Orte tatsächlich voneinander entfernt sind.
Die mit dem Sarazenen-Wiki verbundenen Arbeiten gliedern sich in den Transdisziplinären Forschungsbereich (TRA) "Present Pasts" der Universität Bonn ein. Dabei handelt es sich um einen von sechs fakultätsübergreifenden Verbünden, die im Zuge der Exzellenzförderung eingerichtet wurden. Das Ziel: Forschende aus unterschiedlichen Disziplinen zusammenzubringen, um gemeinsam an zukunftsrelevanten Fragestellungen zu arbeiten. So kommen in der TRA "Present Pasts" unter anderem Fachleute aus der Geschichtswissenschaft, Theologie, Rechtsgeschichte, Philologie und – wie im Fall des Sarazenen-Wikis – Informatiker zusammen.
In einem ihrer Forschungsschwerpunkte untersuchen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Formen der Kommunikation als Grundvoraussetzung der Globalisierung. Konkret bedeutet das: Wenn das Wiki neue Erkenntnisse darüber liefert, wie vor Jahrhunderten über Sarazenen kommuniziert und mit dieser neuen Personengruppe umgegangen wurde, hilft das auch bei der Analyse heutiger Veränderungs- und Globalisierungsprozesse.
Das "Repertorium Saracenorum" ist auf Basis der Open-Source-Software "Semantic MediaWiki" angelegt und in Zusammenarbeit mit dem Cologne Center for eHumanities (CCeH) der Universität zu Köln entstanden, einer der führenden Einrichtungen für Digital Humanities (digitale Geisteswissenschaften) in Deutschland. Bei der Software handelt es sich um einen Bausatz, der diskutiert und erweitert werden soll. Um das Wiki stetig weiterzuentwickeln, können sich sowohl Forschende als auch interessierte Personen einloggen und Beiträge mitbearbeiten. "Anders als eine gedruckte Veröffentlichung ist das 'Repertorium Saracenorum' durch seine Wiki-Struktur eine offene, erweiterbare Form zum kollaborativen Arbeiten, die nicht als 'abgeschlossen' betrachtet werden darf und daher zur Mitarbeit aufruft", betont Katharina Gahbler. "Der Wert des Wikis erhöht sich also mit jedem neuen Eintrag und mit jeder Ergänzung."
Das Projekt wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert.
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