Außergewöhnliche Pompeji-Ausstellung in Halle
Unter dem Titel »Pompeji, Nola, Herculaneum - Katastrophen am Vesuv« präsentiert Sachsen-Anhalts neue Landesausstellung ab heute eine neue Sicht auf eine Region, wo im 18. Jahrhundert die ersten großen und systematischen Ausgrabungen durchgeführt wurden und die Archäologie als wissenschaftliche Disziplin etabliert wurde. Die Schau ist keineswegs nur ein neuer Aufguss anderer Pompeji-Ausstellungen, von denen schon einige in Deutschland zu sehen waren. Zwar stößt man auch in Halle auf bekannte und berühmte Funde aus dem Ort, der im Jahr 79 n. Chr. unter Vulkanasche begraben wurde, doch den thematischen Bogen spannten die Ausstellungsmacher weiter.
Diachrone Darstellung der Katastrophen
Die plinianische Eruption, die Pompeji begrub, war nicht der erste Ausbruch des Vesuv, der den Untergang einer Siedlung besiegelte. Seit Jahrtausenden besiedeln Menschen die fruchtbaren Hänge und Ebenen am Golf von Neapel, eine Landschaft, über die sich allgegenwärtig der Vesuv erhebt. Lebensspuren aus mehreren Jahrtausenden zeigen, wie sehr das Leben am Fuße des Vulkans in dieser Zeit stets auch von Naturkatastrophen geprägt war – ein Aspekt, dem in Halle erstmals diachron nachgegangen wird. Ein Vesuvausbruch der Zeit um 1.900 v. Chr. verschüttete das bronzezeitliche Dorf von Nola. Seine Bewohner konnten rechtzeitig fliehen und hinterließen dabei Fußabdrücke, die nun - fast 4.000 Jahre später - in Halle zu sehen sind.
Die künstlichen Inseln der Feuchtbodensiedlung von Poggiomarino – eine Art »vorgeschichtliches Venedig« – fielen den Naturgewalten mehrfach zum Opfer und wurden schließlich um 700 v. Chr. aufgegeben. Weitere Verwüstungen verursachte im 8. Jh. v. Chr. ein auf der Insel Ischia aktiver Vulkan. Bei Punta Chiarito wurden die Reste eines von diesem Ereignis zerstörten Hauses entdeckt. Im gleichen Grabungsareal hat sich außerdem das komplette Inventar eines eisenzeitlichen Fischerhauses erhalten, das im 6. Jahrhundert v. Chr. von einem Erdrutsch unter Geröllmassen begraben wurde. Zusammen mit einem Fresko aus der Basilika von Cimitile – der ältesten christlichen Wandmalerei außerhalb Roms –, die bei einem Vulkanausbruch im Jahr 472 n. Chr. verschüttet wurde, verdeutlicht diese Reihe, dass auch die große und bekannte Zerstörung Pompejis, Herculaneums und weiterer Städte 79 n. Chr. kein Sonderfall, sondern »nur« eine in einer ganzen Reihe von wiederkehrenden Verwüstungen ist.
Dass eine solche die Region am Golf von Neapel auch heute noch bedroht, ist ein Aspekt, der ebenfalls thematisiert wird. So geht die zentrale Installation im Atrium des Landesmuseums der Frage nach, was wohl Archäologen der Zukunft nach einem weiteren Ausbruch des Vesuvs finden würden. Verschiedene »echte« Funde aus der Antike sind hierzu zeitgenössischen Objekten gegenübergestellt, der Beinschiene eines Gladiators beispielsweise ein Paar Schienbeinschoner des SSC Napoli – natürlich nicht in unversehrtem Zustand. Im Zentrum
des Atriums jedoch steht ein prächtiger Bankettraum aus Moregine. Die rot gehaltenen, originalen Wände, die letztmalig außerhalb Italiens zu sehen sind, zeigen Apollon und die Musen und bilden den Hintergrund zur Erläuterung des antiken Banketts, das für die Römer der Antike von zentraler gesellschaftlicher Bedeutung war und das hier anhand verschiedener Objekte und Wandmalereien veranschaulicht wird. Über all dem ist in einer Projektion an die Decke des Atriums der Vulkan stets gegenwärtig.
Premieren und Dernièren
Prächtige Rauminstallationen, Statuen, Alltagsgegenstände verschiedenster Art erwecken die Stätten am Vesuv zu neuem Leben. Spektakuläre Exponate, wie einer der berühmten bronzenen Läufer aus der Villa dei Papiri von Herculaneum, stehen neben Objekten, die durch Ausgrabungen erst der jüngsten Vergangenheit zu Tage kamen
und erstmals außerhalb Italiens zu sehen sind, wie etwa zwei Papyrusrollen aus der Privatbibliothek von Konsul Lucius Calpurnius Piso, dem Schwiegervater von Julius Caesar (100 bis 44 v. Chr.), die vermutlich Schriften des griechischen Philosophen Philodemos enthalten. Teilweise wurden die Exponate auch letztmalig ins Ausland verliehen, bevor sie in Italien eine dauerhafte Heimstatt finden.
Einen weiteren zentralen Bestandteil des Ausstellungskonzeptes bildet das Alltagsleben in der antiken Stadt Pompeji, das im Jahr 79 n. Chr. so abrupt beendet wurde. Um dieses in all seinen Aspekten beleuchten zu können, wird erstmals ein konkret ausgegrabener, erhaltener Haushalt in den Mittelpunkt gestellt, wie er in einer solchen Fülle noch nie außerhalb Italiens zu sehen war: die Casa del Menandro, eines der größten repräsentativen Häuser der Stadt Pompeji. Rund um das Korkmodell der Insula, der zentralen Installation in diesem Raum, gruppieren sich verschiedenste Objekte aus dem Inventar des Hauses. Das Spektrum reicht von Transportamphoren über Möbelbeschläge bis hin zu einem prächtigen Schatz aus Silbergefäßen und Schmuckstücken, der im Keller des Hauses gefunden wurde.
Repräsentation und Wohlleben werden auch im Obergeschoss der Ausstellung thematisiert. Exquisite Bronzestatuen des Gottes Apollo und verschiedener Tiere, die zugleich als Wasserspeier dienten und aus dem Garten des sog. Hauses des Kitharaspielers stammen, begrüßen den Besucher und lenken den Blick weiter auf die zentrale Rauminstallation, dem Eingang zum Stockwerk gegenüber: die originalen Wandmalereien aus dem Gartentriclinium des sog. Hauses des Goldenen Armreifs. Sie gehören zu den schönsten erhaltenen Fresken aus Pompeji. In einzigartig lebendiger Weise ist hier ein künstlicher Garten an die Wand gebannt – in einem Zimmer, von dem aus man in der Antike den Blick auf den realen Garten des Hauses genoss. Mit dem Bild des Lebens kontrastieren die Gipsausgüsse der Toten, die ebenfalls aus Pompeji nicht wegzudenken sind: In dem Haus des Goldenen Armreifs wurden mehrere Opfer des Vulkanausbruchs geborgen, eine Frau, ein Mann und zwei Kinder, denen nicht mehr rechtzeitig die Flucht gelungen war, wohl die wohlhabenden Bewohner des Hauses. Dafür spricht der massive, über 600 g schwere Goldarmreif, den die Frau noch am Arm trug und der ebenfalls ausgestellt wird.
Römer und Germanen
Den Bogen nach Sachsen-Anhalt schlägt wiederum ein weiterer genuiner Aspekt des Ausstellungskonzeptes. Erstmals wird aufgezeigt, dass Mitteldeutschland auch zur Zeit des Untergangs von Pompeji nicht ohne Verbindungen nach Italien war. Funde aus dem Freien Germanien spiegeln Handels- und möglicherweise auch diplomatische Kontakte wider. So wird zum ersten Mal seit seiner Entdeckung im Jahr 2008 das Grab einer reichen Germanin öffentlich ausgestellt, das in einem Urnengräberfeld der frühen Römischen Kaiserzeit bei Profen (Burgenlandkreis) gefunden wurde. Die Frau war standesgemäß auf einem Bärenfell verbrannt und in einer bronzenen Urne beigesetzt worden; nach dem Brand wurde außerdem prächtiger Goldschmuck in die Urne gegeben. Die Fuchsschwanzketten aus dieser Bestattung finden unmittelbare Parallelen im Fundbestand der Vesuvstädte, ebenso wie ein kleines Achatgefäß aus Kleinjena. Zwei Silberbecher aus einem Grab bei Hoby (Dänemark), stellten möglicherweise Geschenke eines römischen Generals an einen Germanen dar, und selbst die berühmte Varusschlacht des Jahres 9 n. Chr. hinterließ in Form einer Münze aus Sanne (Landkreis Stendal) ihre Spur in Sachsen-Anhalt.
Antikenrezeption nördlich der Alpen
Im Februar des Jahres 1766 bestieg Fürst Franz von Anhalt-Dessau im Rahmen seiner »Grand Tour« den Vesuv und besichtigte Pompeji und Herculaneum, keine 20 Jahre, nachdem dort reguläre Ausgrabungen aufgenommen worden waren. Die Eindrücke des Fürsten fanden später unmittelbaren Eingang in sein Dessau-Wörlitzer Gartenreich: in der Ausstattung von Schlössern, der Nachahmung der Villa Hamilton und – noch heute ein einzigartiges Highlight – in der Nachbildung des Vulkans Vesuv, der nach wie vor zu besonderen Anlässen zum Ausbruch gebracht werden kann. Die Antikenrezeption nördlich der Alpen war geboren. Nun sind die Stätten am Golf von Neapel zu Gast in Halle.
Die Wiederentdeckung Pompejis im 18. Jahrhundert und die Protagonisten der Antikenrezeption im Gebiet des ehemals Freien Germanien, Fürst Franz von Anhalt-Dessau und sein Freund, Berater und Baumeister Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorff bilden mit ausgewählten Objekten u. a. aus dem Dessau-Wörlitzer Gartenreich, den Abschluss des Rundgangs und gewissermaßen einen Ausblick auf die Korrespondenzausstellung, die ab April 2012 unter dem Titel »Ferne Welt ganz nah – Pompeji im Gartenreich Dessau-Wörlitz« im Gartenreich zu sehen sein wird.
Erfolgreiche deutsch-italienische Kooperation
Die Landesausstellung »Pompeji, Nola, Herculaneum - Katastrophen am Vesuv« ist ein Kooperationsprojekt des Landesmuseums für Vorgeschichte, der Soprintendenza Speciale per i Beni Archeologici di Napoli e Pompei, dem Ministero per i Beni e le Attività Culturali, dem Museo Archeologico Nazionale di Napoli und der Kulturstiftung DessauWörlitz und steht unter der Schirmherrschaft des Presidente della Repubblica Italiana, On. Dr. Giorgio Napolitano, und des Präsidenten der Bundesrepublik Deutschland, Dr. h.c. Christian Wulff.
Mehr als zwei Jahre dauerten die Vorbereitungen für die Ausstellung. Diese Zeit war offensichtlich gut investiert, wie das Lob der italienischen Partner für ihre deutschen Kollegen bei der Eröffnung am Donnerstag deutlich macht. Sie zeigten sich beeindruckt von der Akribie, mit der die Archäologen aus Halle sich jedem noch so kleinen Detail widmeten, und machten es möglich, dass nun so zahlreiche außergewöhnliche Exponate erstmals bzw. letztmals außerhalb Italiens gezeigt werden können. Das hebt die Landesausstellung in Halle auch international hervor, denn auch in New York und London sind Ausstellungen zu Pompeji geplant - die müssen aber auf viele der Objekte verzichten, die nun in Halle zu sehen sind.
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