Auf den Spuren des Sterbeorts Ottos des Großen
Das einstige Kloster Memleben zählt zu den bedeutendsten Stätten an der Straße der Romanik. Die Ruine der Klosterkirche aus dem 13. Jahrhundert mit ihrer erhaltenen Krypta gilt als herausragendes Bauwerk am Übergang von Spätromanik zu Frühgotik. Es spiegelt die historische Bedeutung des Ortes wider: Der Begründer des Heiligen Römischen Reiches, Kaiser Otto I., genannt der Große, segnete 973 in Memleben das Zeitliche, ebenso wie im Jahr 936 bereits sein Vater Heinrich I. Der Sohn und Nachfolger Ottos des Großen, Otto II., und seine Gemahlin Theophanu stifteten dem Kaiser zu Ehren an dessen Sterbeort ein reich ausgestattetes Benediktinerkloster. Es fand 979 erstmals Erwähnung und zählte zu den bedeutendsten Klöstern im Ottonenreich. Die Anlage verlor zwar bereits 1015 ihre Eigenständigkeit, als Heinrich II. sie dem osthessischen Benediktinerkloster Hersfeld unterstellte, nicht jedoch ihre Funktion als Erinnerungsort an das Herrscherhaus.
Aktuelle Ergebnisse des Jahres 2023
Die jüngsten Untersuchungen konzentrierten sich auf drei unmittelbar an die Monumentalkirche Ottos II. angrenzende Areale: den teils als Friedhof genutzten Bereich um die nordöstliche Nebenapsis, das Kreuzgangareal am nördlichen Seitenschiff sowie die Anbindung des Seitenschiffes und des Kreuzgangs am westlichen Querhaus.
Ein Vorgängerbau beim Friedhof und erster archäologischer Hinweis auf die Pfalz Heinrichs I. und Ottos I.
Im Jahr 2022 ließen sich unmittelbar an der nördlichen Nebenapsis der Monumentalkirche Ottos II. Fundamentreste eines vor der Errichtung der Kirche existierenden steinernen Bauwerks nachweisen. Da es sich hierbei um den ersten Hinweis auf eine Architektur handelte, die vor der Errichtung der monumentalen Basilika bestand und damit in die Zeit Heinrichs I. und Ottos des Großen führt, kam seiner Untersuchung während der diesjährigen Ausgrabung besondere Bedeutung zu. Das bislang unbekannte Gebäude ließ sich in größerem Umfang nachverfolgen und erwies sich als annähernd Ost-West-ausgerichtet. Der Innenraum ist etwa 9,20 Meter breit. Die Ausdehnung nach Osten ist noch nicht erfasst, da der Gebäudeabschluss hier durch die Einfassung des heutigen Klostergartens überlagert wird. Die Westseite weist neben klar umrissenen Fundamentgruben mit Spuren vermörtelten Bruchsteinmauerwerks eine Öffnung von über fünf Metern Breite auf. Ein mittig in der Öffnung liegender Mauerwerksrest lässt darauf schließen, dass diese ursprünglich zwei Portale aufwies. Die Abbruchreste des Bauwerks werden von den deutlich tiefergreifenden Fundamenten der Nordostapsis der Monumentalkirche durchschnitten. Es muss sich also um ein dem Kirchenbau des 10./11. Jahrhunderts vorausgehendes Bauwerk handeln. Sein Innenraum weist ein massives Geröllpflaster auf, das als Unterbau eines nur noch in Resten erhaltenen Kalkestrichfußbodens diente. Die damit greifbare außerordentliche Qualität des Gebäudes aus dem 10. Jahrhundert lässt den Schluss zu, dass es sich entweder um einen älteren Sakralbau oder ein elementares, repräsentatives Gebäude der Pfalz Memleben handelt. Unabhängig von der Klärung dieser Frage, die künftig mit Hilfe der Auswertung des Skelettmaterials aus dem angrenzenden Friedhof und weiteren geophysikalischen Untersuchungen erfolgen kann, ist es damit erstmals gelungen, archäologische Hinweise auf den authentischen Aufenthalts- und Sterbeort der Herrscherpersönlichkeiten Heinrichs I. und Ottos I. zu identifizieren.
Ein rätselhaftes Fundament im Kreuzgang – Ottos I. Herz auf der Spur?
Am nördlichen Seitenschiff der Monumentalkirche konnte unter Resten spätmittelalterlicher Umbauten der Fundamentgraben des ursprünglichen, wesentlich mächtiger dimensionierten Kreuzgangs des 10./11. Jahrhunderts nachgewiesen werden. Die Flucht des Baukörpers wird im Kreuzgangzentrum durch eine große, zur Entnahme von Baumaterial angelegte Grube unterbrochen. Worauf man mit dieser abzielte, verdeutlichen der erhaltene Unterbau eines West-Ost-orientierten langrechteckigen, tiefer als das Kirchenlanghaus gegründeten Fundaments und ein aufwändig bearbeiteter Werkstein. In der Entnahmegrube über dem natürlich anstehenden Schotter der Unstrutaue fanden sich in großem Umfang Keramik und Ofenkachelreste von deren nachträglicher Verfüllung mit Bauschutt. Auf ihrer Sohle fand sich neben Resten hochwertiger Glasgefäße zudem ein thüringischer Hohlpfennig Jenaer Prägung, der die Bergung qualitätvoller Teile des bislang vollkommen unbekannten Bauwerks, das sich ursprünglich auf dem langrechteckigen Fundament erhob, in das ausgehende 14. Jahrhundert datiert. Worum es sich bei dem Bau im Zentrum des Kreuzgangs handelt, der bislang ohne Vergleich ist, bleibt nach jetzigem Kenntnisstand offen. Allerdings wecken die Spuren des rätselhaften Bauwerks Assoziationen an eine schriftliche Quelle des 16. Jahrhundert, der zufolge man im Kreuzgangbereich eine Umbettung des Herzens Ottos des Großen verortete. Nach der Chronik Thietmars von Merseburg aus dem beginnenden 11. Jahrhundert waren die Eingeweide des Herrschers in der Nacht nach seinem Tode in der Memlebener Marienkirche (einem Vorgänger der Monumentalkirche Ottos II.) beigesetzt, sein einbalsamierter Leichnam nach Magdeburg überführt worden. Eine Interpretation des neu entdeckten Bauwerks im Monumentalkirchenkreuzgang als Sanktuarium zur temporären Aufbewahrung und Verehrung der »Reliquie« mit den Eingeweiden Ottos des Großen liegt im Bereich des Möglichen. Eine Deutung als Rest einer Tumba (Grabmal) einer hochrangigen Persönlichkeit ist ebenso vorstellbar.
Neue Erkenntnisse zu Bau und Aufgabe der Monumentalkirche Ottos II.
Zur weiteren Klärung des Grundrisses und der Baugeschichte der Kirche Ottos II. wurde zusätzlich ein Bereich an der Außenseite des nördlichen Seitenschiffs untersucht. Dies erbrachte aufschlussreiche Beobachtungen am westlichen Querhaus, dessen Fundament mit dem östlich anbindenden Langhaus verzahnt ist. Der Aufschluss ergänzt bisherige Erkenntnisse zur Bauabfolge: Ostapsis und östliches Querhaus erscheinen als zuerst errichtete Bestandteile. Diese wurden durch die beiden östlichen Nebenapsiden und das in einem Zuge errichtete Bauvorhaben von Lang- und westlichem Querhaus ergänzt. Während der Freilegung ließen sich zudem starke Brandeinwirkungen am ursprünglich unterirdisch gelegenen Fundament nachweisen. Sie lassen sich nur durch eine gezielte Frei- und Brandlegung im Zuge des Gebäudeabrisses erklären und vermitteln einen Eindruck, wie man bei der Materialgewinnung aus dem gewaltigen Baukörper vorging: Man vermied den aufwendigen Abbau einzelner Steine über ein Gerüst, sondern brachte große Teile des Mauerwerks durch Brandlegung im Fundamentbereich zum Einsturz. In Parallelisierung mit der Entnahmegrube im Kreuzgangbereich lässt sich der Abriss im 14. Jahrhundert verorten.
Zusammenfassend erbrachten die diesjährigen archäologischen Ausgrabungen in Memleben wichtige Ergebnisse. Von besonderer Bedeutung ist der Nachweis eines steinernen, für die Verhältnisse des 10. Jahrhunderts außerordentlich qualitätvollen und nahezu monumentalen Vorgängergebäudes der bekannten Kirche Ottos II. Diese Entdeckung ist insbesondere vor dem Hintergrund außerordentlich bedeutend, dass die trotz aller Bemühungen bislang nicht lokalisierte und an unterschiedlichsten Stellen inner- und außerhalb des Geländes des Klosters verortete Pfalz Memleben als Königshof und Sterbeort der Herrscher Heinrich I. und Otto I. im Zusammenhang mit der Begründung des Heiligen Römischen Reichs einer historischen Relevanz ist, die weit über die Grenzen Sachsen-Anhalts hinausweist. Im Rahmen der aktuellen Forschungen ist es nun erstmals gelungen, belastbare archäologische Hinweise auf den authentischen Ort der Pfalz zu identifizieren.
Die archäologische Lehr- und Forschungsgrabung
Die seit 2017 laufende Lehr- und Forschungsgrabung des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt in Kooperation mit der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, der Hochschule Anhalt mit Unterstützung der Stiftung Kloster und Kaiserpfalz Memleben unter Beteiligung von Studierenden der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau fand zwischen dem 21. August und dem 29. September 2023 ihre Fortsetzung. Wie in den beiden Vorjahren widmeten sich die Untersuchungen der Kirche aus der Zeit der Klostergründung im 10. Jahrhundert und ihrem unmittelbaren Umfeld.
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