Genetische Untersuchungen, die das Bakterium auch in mittelalterlichen Proben nachwiesen, wurden in den vergangenen Jahren als das Ergebnis einer Kontamination mit moderner DNA oder der DNA von Bodenbakterien angesehen. Zweifel an den Ergebnissen bestanden vor allem, da sich die heutige Variante der Pest - auch ohne moderne medizinische Behandlung - wesentlich langsamer ausbreitet und weniger tödlich im Vergleich zur historischen Variante verläuft.
Dem internationalen Forscherteam der Universität Tübingen und der McMaster Universität in Kanada ist es nun gelungen, ein für die Virulenz des Pesterregers Y. pestis wichtiges Ringgenom, das sogenannte „pPCP1 Plasmid", das etwa 10.000 Positionen der DNA des Erregers umfasst, aus Skeletten eines Londoner Pestfriedhofs zu entschlüsseln. Dabei konnten die Bruchstücke der Pest-DNA-Fragmente, die aus Zahnproben der Skelette extrahiert wurden, zu einer langen Ringgenom-Sequenz zusammengesetzt werden, die sich als identisch im Vergleich zu heutigen Pesterregern offenbarte. „Dies deutet darauf hin, dass sich zumindest dieser Teil der Erbinformation der Pesterreger in den letzten 600 Jahren kaum verändert hat", erklärt Johannes Krause.
Zusätzlich konnte das Forscherteam zeigen, dass es sich bei der Pest-DNA aus den Londoner Zähnen tatsächlich um mittelalterliche DNA handelt. Dafür untersuchte das Team Beschädigungen der DNA, die so nur in alter DNA vorkommen – es kann sich bei der mittelalterlichen Pest-DNA also nicht um Kontamination mit moderner DNA aus dem Labor oder von Bodenbakterien handeln - der eindeutige Beweis, dass der heute bekannte Pesterreger Y. pestis auch die Epidemie im Mittelalter ausgelöst hat.
Bereits im vergangenen Jahr veröffentlichte ein Forschungsteam um die Mainzer Anthropologinnen Stephanie Hänsch und Barbara Bramanti eine Studie, in der 76 menschliche Skelette aus mutmaßlichen Pestgruben in England, Frankreich, Deutschland, Italien und den Niederlanden auf die DNA des Erregers, bzw. dessen Proteinreste untersucht wurden. Die Proben wurden ebenfalls aus den Zähnen aber auch den Knochen der Skelette entnommen. Zehn Individuen aus Frankreich, England und den Niederlanden zeigten ein Yersinia-pestis-spezifisches Gen. Die Proben aus dem italienischen Parma und aus Augsburg brachten erst mit der Anwendung einer anderen Methode - der Immunochromatographie - ein positives Ergebnis.
Bei der Analyse um welchen der heute bekannten Bakterienvarianten »Orientalis« oder »Medievalis« es sich handelt, konnten Hänsch und Bramanti keinen der beiden Varianten identifizieren, vielmehr entdeckten sie zwei unbekannte Formen, die älter sind und sich von den modernen Erregern in Afrika, Amerika, dem Nahen Osten und dem Gebiet der früheren Sowjetunion unterscheiden. Eine dieser beiden Formen, die vermutlich wesentlich zu dem katastrophalen Verlauf der Seuche im 14. Jh. beigetragen haben, ist heute mit großer Wahrscheinlichkeit ausgestorben. Die andere scheint Ähnlichkeiten mit Formen zu zeigen, die vor Kurzem in Asien isoliert worden sind.
Auf der Grundlage ihrer Ergebnisse rekonstruieren Hänsch und Bramanti eine Ausbreitungsroute, die von der anfänglichen Einschleppung des Erregers im November 1347 aus Asien nach Marseille über Westfrankreich nach Nordfrankreich bis England verläuft. Weil im niederländischen Bergen op Zoom ein anderer Typ von Y. pestis gefunden wurde, gehen die beiden Wissenschaftlerinnen davon aus, dass die südlichen Niederlande nicht direkt von England oder Frankreich aus infiziert wurden, sondern von den nördlichen Niederlanden aus. Dies wäre eine andere Infektionsroute, die aus Norwegen kommend über Friesland ihren Weg in die Niederlande genommen hätte. »Die Geschichte dieser Pandemie«, so Hänsch, »ist komplizierter, als man bisher gedacht hat.«
Denn immer noch bereitet den Forschern die Schnelligkeit der Ausbreitung über fast den gesamten europäischen Kontinent Kopfzerbrechen. Alle mögliche Infektionswege dieser Krankheit lassen ein solche Geschwindigkeit nicht erwarten. Weitere Fragen stellen sich auch in Bezug zu den Regionen in Mittel- und Osteuropa, die zumindest von der ersten »Pestwelle« im 14. Jahrhundert nicht betroffen waren, wie zum Beispiel Teile des heutigen Bayerns, Nordrhein-Westfalens und Niedersachsens.
Publikation
V. J. Schueneman, K. I. Bos, S.N. DeWitte, J. Jamieson, S. Schmedes, A. Mittnik, S. A. Forrest, B. Coombes, J. W. Wood, D. Earn, W. White, J. Krause and H. N. Poinar (2011). Fishing for ancient pathogens: Y. pestis confirmed in victims of the Black Death via high-throughput sequencing of the pPCP1 plasmid. Proc Natl.Acad.Sci.USA. (www.pnas.org/cgi/doi/10.1073/pnas.1105107108)
Haensch S, Bianucci R, Signoli M, Rajerison M, Schultz M, et al. (2010) Distinct Clones of Yersinia pestis Caused the Black Death. PLoS Pathog 6(10) (dx.plos.org/10.1371/journal.ppat.1001134)