Wie die Archäologen in der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins "Forschung Frankfurt" berichten, sind sie bereits vor 15 Jahren angetreten, die Siedlungsgeschichte des Rieds, dieser flachen, wasserreichen Landschaft zwischen Rhein, Main und Odenwald, über einen Zeitraum von gut 500 Jahre zu erforschen. Inzwischen konnten sie bemerkenswerte Ergebnisse vorlegen. Die Aktivitäten in dieser Region waren auf die mächtige Stadt Mogontiacum, das Tor zur "Germania Magna", ausgerichtet. Dort waren im ersten Jahrhundert n. Chr. über 10.000 Soldaten stationiert, die durch ihren regelmäßigen Sold und ihre Ansprüche des täglichen Bedarfs einen Wirtschaftsboom in dieser um die Zeitenwende sehr dünn besiedelten und kaum strukturierten Region auslösten. Im Gebiet des heutigen Landkreises Groß-Gerau wurden zunächst für kurze oder auch längere Zeit besetzte Militärlager angelegt – insgesamt 13 sind bisher entdeckt worden, an wenigen Orten entstanden Dörfer, in denen die Angehörigen der Soldaten lebten.
Nach dem Abzug der Truppen im frühen zweiten Jahrhundert n. Chr. wurde das Ried mit Gutshöfen (villae rusticae), die von Bauern und auch Veteranen bewirtschaftet wurden, aufgesiedelt. "Die Äcker des Rieds bilden ein Bodenarchiv ersten Ranges, das wir mit unseren systematischen Feldbegehungen erschlossen haben", sagt Dr. Thomas Maurer, der seit 1998 die Erkundungen vor Ort leitet. Er konnte 200 römische Fundplätze nachweisen und mehr als 8000 Fundobjekte publizieren; im Vergleich zu einer Veröffentlichung von 1989 hat sich die Zahl der bekannten Fundplätze damit fast verzehnfacht.
Am häufigsten stießen die Forscher auf Keramikscherben, deren Alter und Herkunft in der Regel exakt zu bestimmen sind, vielfach ist auch der Inhalt der Gefäße zu ermitteln. Mit Hilfe modernster Keramikanalytik konnte zudem die lokale Keramikproduktion im Ried rekonstruiert werden. Nachweisen lässt sich, dass die Soldaten in römischen Diensten, unter ihnen viele aus dem Mittelmeerraum, nicht auf die kulinarischen Köstlichkeiten ihrer Heimat verzichten wollten: Olivenöl, Fischsoßen und Wein wurden in großen Amphoren aus Südspanien an den Rhein transportiert. Aber ohne Getreideanbau und Viehwirtschaft im Ried hätten viele Menschen darben müssen. Mit der Analyse von Pollen-Ablagerungen im Boden hat die Frankfurter Archäobotanikerin Christiane Singer die Vegetationsentwicklung und Nutzung des Rieds nachzeichnen können.
Einen kleinen Raum westlich des Groß-Gerauer Ortsteil Wallerstädten haben sich die Wissenschaftler besonders gründlich angeschaut und konnten im Detail nachweisen, wie ein Siedlungsschwerpunkt im Laufe von 500 Jahren "gewandert" ist. Nach einem kurzzeitig besetzten Militärlager (30/40 n. Chr.) wurde leicht versetzt ein Kastell (40 bis 75 n. Chr.) gebaut, im zweiten/dritten Jahrhundert lag dort eine Siedlung mit einer bunt zusammengesetzten Bevölkerung und im vierten/fünften Jahrhundert lassen die Funde darauf schließen, dass sich hier Alamannen nieder gelassen haben; beim heutigen Ortsrand von Wallerstädten leiten Funde des 6./7. Jahrhunderts über in die Zeit der Merowinger.
Die Blütezeit der Zivilbesiedlung des Rieds, das Teil einer nach römischem Vorbild organisierten Gebietskörperschaft (civitas) war, endete um die Mitte des dritten Jahrhunderts unter dem Eindruck von Bürgerkrieg und Germaneneinfällen. Zu Beginn des vierten Jahrhunderts kam es im Ried zu einem Wiederaufschwung; das Gebiet profitierte ganz offensichtlich erneut von seiner Nähe zu Mogontiacum, zu dessen Brückenkopf es gehörte. Neben spätrömischen Militäranlagen entstanden nun auch alamannische Siedlungen. In der ersten Hälfte des fünften Jahrhunderts schwindet der römische Einfluss mehr und mehr. Das Ried steht von nun an unter alamannischer Herrschaft und wird um 500 n. Chr. Teil des fränkischen Merowinger-Reiches.