Wie die Landwirtschaft ins Ammertal einzog

Forschungsprojekt erstellt geoarchäologisches Archiv der ersten Mensch-Umwelt Interaktionen in Tübinger Region: Landschaft wandelte sich vom Feuchtgebiet zur Flussaue und zog Siedler an.

Das Ammertal zwischen Tübingen und Pfäffingen in Baden-Württemberg, heute ein Gebiet intensiver Landwirtschaft, war während der Mittelsteinzeit über viele tausend Jahre ein ausgedehntes Feuchtgebiet. Als sich die Region vor etwa 8.000 Jahren in eine trockene Flussaue verwandelte, ließen sich die ersten Siedler aus dem Karpatenbecken nieder und führten die Agrarwirtschaft ein. Welche Umweltbedingungen und Nahrungsressourcen sie vorfanden, ist nun erstmals in einem geoarchäologischen Archiv erfasst. Ein Team des Senckenberg Centre for Human Evolution and Palaeoenvironment (SHEP) an der Universität Tübingen und des baden-württembergischen Landesamtes für Denkmalpflege hat rekonstruiert, wie sich das Ammertal über lange Zeiträume und im Wechselspiel mit dem Menschen landschaftlich veränderte.

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Bohrkernuntersuchung
Annett Junginger bei der Analyse der Bohrkerne. Foto: M. Ebner

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des SHEP hatten in einer Kooperation mit dem Landesamt für Denkmalpflege und dem Sonderforschungsbereich 1253 »CAMPOS« der Universität Tübingen Sedimentkerne aus dem Ammertal analysiert, um herauszufinden, wie sich paläo-ökologische Veränderungen vor mehr als 8.000 Jahren auf den Lebensunterhalt des Menschen auswirkten. Doktorandin Shaddai Heidgen extrahierte und analysierte dafür aus den Sedimentkernen organische Ablagerungen wie Pollen, Sporen und winzige Holzkohle-Partikel nahe einer archäologischen Ausgrabungsstätte in Pfäffingen. Das Projekt wurde von Annett Junginger geleitet, Juniorprofessorin für Mikropaläontologie am SHEP.

Als ausgedehntes Feuchtgebiet zog das Ammertal im Südwesten Deutschlands seit der Mittelsteinzeit Jäger und Sammler an. In seinen Sedimenten sind Umwelt und Klima dieser Zeit überliefert. So konnte das Forschungsteam drei Hauptperioden der Vegetationsentwicklung ausmachen: Vor 10.600 bis 10.100 Jahren dominierten zunächst offene Wälder aus Eiche, Linde, Ulme und Esche sowie eine große Vielfalt verschiedener Kräuter die Landschaft rund um das Feuchtgebiet. Später, vor 10.100 bis 8.400 Jahren, entwickelte sich die Haselnuss zur dominierenden Baumart. Vor 8.200 bis 7.800 Jahren deutet die Zusammensetzung der Sedimentbohrkerne sowie der Pollen und Sporen dann auf eine dramatische Änderung hin: Das Feuchtgebiet verschwand, gemischte Eichenwälder dehnten sich aus. Das Ammertal verwandelte sich in eine Flussaue, die nur noch sporadisch von der Ammer überschwemmt wurde.

Nach der Wandlung zur Flussaue brachten Siedler aus dem östlichen Mitteleuropa die sogenannte Kultur der Linearbandkeramik (LBK) nach Südwestdeutschland. Die LBK gilt als älteste neolithische Kultur Mitteleuropas und ist mit dem Beginn der Landwirtschaft und der Viehzucht verbunden. Ihre Verbreitung in Südwestdeutschland ist unter anderem aus zahlreichen archäologischen Fundstellen bekannt. Eine der ältesten Siedlungen, an der aktuell Geländeforschungen laufen, liegt bei Ammerbuch-Pfäffingen und weist auf einen Beginn der sesshaften Besiedlung vor 7.300 Jahren hin. Die Erkenntnisse der dortigen Grabungen unter Leitung von Professor Raiko Krauß (Universität Tübingen) und Dr. Jörg Bofinger (Landesamt für Denkmalpflege) flossen in die aktuelle Studie ein. Zudem legen die Ergebnisse botanischer Untersuchungen durch Dr. Elena Marinova und Dr. Oliver Nelle (beide Landesamt für Denkmalpflege) nahe, dass das zu diesem Zeitpunkt in Schwemmland verwandelte Feuchtgebiet wertvolle Nahrungsressourcen lieferten. Unter anderem konnten die Menschen wilde Früchte, beispielsweise Äpfel, sowie Haselnüsse ernten. Zudem bot die nährstoffreiche Auenlandschaft eine gute Grundlage für die älteste Landwirtschaft. Aus den Funden lässt sich schließen, dass diese auf geschältem Weizen ‒ meistens Emmer und Einkorn ‒ und Hülsenfrüchten wie Erbsen und Linsen basierte.

»Diese Studie aus dem Südwesten ist eine der wenigen in Deutschland, in denen lokale, kontinuierliche Umweltinformationen der Vergangenheit aus Sedimentkernen direkt neben einer Ausgrabungsstätte gewonnen und in den archäologischen Kontext integriert werden konnten«, sagt Annett Junginger. »Mit dieser Kombination konnten wir unser Wissen und Verständnis erweitern, wie eine sich verändernde Umwelt und die Menschen sich gegenseitig beeinflussten.«

Die Ergebnisse der Studie wurden im Fachjournal Quaternary International veröffentlicht. Die Publikation ist Teil des Sonderbandes »LBK & Vinča – Formation and Transformation of Early Neolithic Lifestyles in Europe in the second half of the 6th millennium BC« der Fachzeitschrift Quaternary International. Dieser wurde von Professor Raiko Krauß (Universität Tübingen), Dr. Jörg Bofinger (LAD) und Dr. Bernhard Weninger (Universität Köln) ediert und fasst die wichtigsten Beiträge einer internationalen Tagung zusammen, die vom 21.-23. März 2019 an der Universität Tübingen stattfand.

Kernbohrung
Das Forschungsteam barg Sedimente aus bis zu 15 Metern Tiefe, um die damalige Landschaft zu rekonstruieren. Foto: A. Junginger
Sedimentbohrkerne
Die Sedimentkerne sind 7.800 bis 12.000 Jahre alt und bergen die Geschichte des Ammertals. Foto: A. Junginger
Publikation

Shaddai Heidgen et al.

Palaeoenvironment and potential resources for early Holocene subsistence in the Ammer River Valley (Germany) based on palaeoecological and bioarchaeological evidence

Quaternary International. 07.06.2020
DOI: 10.1016/j.quaint.2020.05.038
https://www.sciencedirect.com/science/ar...