Bereits heute sind ein Großteil der insgesamt 49 untersuchten Weltkulturerbestätten durch den Anstieg des Meeresspiegels gefährdet. Bis zu 37 dieser Stätten sind durch eine sogenannte Jahrhundertsturmflut bedroht, die mit jährlich 1 Prozent Wahrscheinlichkeit stattfindet. 42 der 49 Stätten sind durch Küstenerosion gefährdet. Nimmt der Meeresspiegelanstieg weiter zu, »wird die Gefährdung durch Sturmfluten, die unter heutigen Bedingungen einer Jahrundertsturmflut entsprechen, im Mittelmeerraum durchschnittlich bis zu 50 Prozent und durch Küstenerosion bis zu 13 Prozent zunehmen, und das noch bis Ende des 21. Jahrhunderts. Einzelne Weltkulturerbestätten könnten durch ihre exponierte Lage sogar noch weitaus stärker betroffen sein«, erklärt Lena Reimann die Studienergebnisse.
Um die Gefährdungspotenziale auswerten zu können, hat das Forschungsteam eine räumliche Datenbank aller UNESCO Weltkulturerbestätten in tiefliegenden Küstengebieten des Mittelmeerraums erstellt. Neben der Lage und Form der Stätten flossen auch die Art des Kulturerbes, die Entfernung zur Küstenlinie oder ihre Lage in urbanen bzw. ländlichen Gebieten in die Studie ein. »Mithilfe dieser Datenbank und Modellsimulationen von Überschwemmung unter Berücksichtigung verschiedener Szenarien des Meeresspiegelanstiegs konnten wir Indizes entwickeln: den Index für Flutrisiko und für Erosionsrisiko«, so Reimann. Der Flutrisikoindex berücksichtigt die potenziell überflutete Fläche und die maximale Fluttiefe jeder Weltkulturerbestätte. Der Erosionsrisikoindex basiert auf der Entfernung jeder Stätte von der Küstenlinie und den physischen Eigenschaften der Küste, die den Grad der Erosion maßgeblich bestimmen. Diese sind u.a. die Materialbeschaffenheit der Küste, von sandig bis felsig, und die Verfügbarkeit neuen Sediments.
Der Anstieg von Flut- und Erosionsrisiko von bis zu 50 Prozent bzw. 13 Prozent basiert auf einem im Mittelmeerraum angenommenen Meeresspiegelanstieg von durchschnittlich 1,46 Meter bis zum Jahr 2100. Dieser Anstieg könnte mit einer fünfprozentigen Wahrscheinlichkeit (95. Perzentil) unter einem hohen Klimawandelszenario (RCP8.5) eintreten. »Auch wenn ein so hoher Meeresspiegelantieg mit einer geringen Wahrscheinlichkeit bis 2100 eintreten wird, ist dieses Szenario nicht auszuschließen, was auf die hohen Unsicherheiten in Bezug auf das Abschmelzen der Eisschilde zurückzuführen ist«, so Professor Vafeidis, »außerdem ist ein solches Szenario aus Sicht des Risikomanagements durchaus relevant, da eine fünfprozentige Eintrittswahrscheinlichkeit in diesem Zusammenhang nicht als gering einzustufen ist.«
»Mit unserer Arbeit möchten wir die Anpassungsplanung zum Schutz des Weltkulturerbes vorantreiben«, betont Reimann. Die Studie identifiziere, wo dringender Bedarf für Anpassungen besteht. An diesen Stätten sollten lokale Studien initiiert werden, die jede einzelne gefährdete Stätte des Weltkulturerbes näher untersuchen. »Es besteht unmittelbarer Handlungs- und Anpassungsbedarf«, ist sich Reimann sicher. Zugleich müssten Maßnahmen für die größere Bedrohung entwickelt werden, die sich in die Stätten einfügen, ohne den Status als Welterbe zu beeinträchtigen. Ein solches Beispiel befindet sich aktuell in Venedig im Bau: Das MOSE Projekt besteht aus absenkbaren Flutwehren, die an den Öffnungen der Lagune installiert werden und so die Stadt und seine Lagune vor Wasserständen von bis zu drei Meter über Normalnull schützen können. Durch die Absenkbarkeit der Flutwehre könne diese Anpassungsmaßnahme den Erhalt des fragilen Ökosystems in der Lagune gewährleisten und füge sich in die Weltkulturerbestätte ein, ohne ihren Status als UNESCO Welterbe zu gefährden, so Reimann. Die Wissenschaftlerin betont neben der Anpassungsplanung auch die zentrale Relevanz des Klimaschutzes: »Ohne geeignete Anpassungsmaßnahmen kombiniert mit einem weltweit ambitionierten Klimaschutz könnte unser Weltkulturerbe durch den Meeresspiegelanstieg erheblichen Schaden nehmen und somit seinen herausragenden Wert als UNESCO Weltkulturerbestätte verlieren.«
Publikation
Mediterranean UNESCO World Heritage at risk from coastal flooding and erosion due to sea-level rise
Nature Communications. 16.10.2018
DOI: 10.1038/s41467-018-06645-9