Forscher aus einem interdisziplinären Team rund um Prof. Dr. Kurt W. Alt und Prof. Dr. Harald Meller widmeten sich in einem langjährig von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) finanzierten Projekt der Universität Mainz und des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt - Landesmuseum für Vorgeschichte archäologischen, osteologischen, molekulargenetischen und isotopengeochemischen Aspekten zum Thema "Kulturwandel = Bevölkerungswechsel? Die Jungsteinzeit des Mittelelbe-Saale-Gebietes im Spiegel populationsdynamischer Prozesse."
In einer jetzt in der internationalen Fachzeitschrift PLOS ONE erschienenen Studie widmet sich das Team um Angelina Münster und Kurt W. Alt Fragen der Ernährungsentwicklung zwischen dem Beginn der sesshaften Lebensweise in der Jungsteinzeit bis zum Beginn des Bronzezeitalters in der Region. Dazu wurde an knöchernen Überresten von 466 Menschen und 105 Haus- und Wildtieren aus mitteldeutschen archäologischen Fundstellen eine Ernährungsrekonstruktion mittels Analyse der Kohlenstoff- und Stickstoffisotopen durchgeführt. Isotopendaten von tierischen Vergleichsproben erlauben Einblicke in spezifische Haltungsstrategien und zeigen mögliche Veränderungen im Laufe des Neolithikums an. Sie charakterisieren darüber hinaus auch das lokale Substrat der potentiellen Nahrungsmittel tierischen Ursprungs für die Menschen. Die Forscher fanden u.a. heraus, dass sich die genutzten Weidegründe und Nahrungsressourcen für die Haustiere (Rinder, Schafe, Ziegen und Schweine) über die ersten 4.000 Jahre nach dem Beginn der Landnahme in Mitteldeutschland erstaunlich wenig veränderten; Umwelt- und Landschaftsnutzung blieben weitestgehend stabil.
Allerdings finden sich deutliche Hinweise auf einen kontinuierlich während des betrachteten Zeitraums ansteigenden Konsum von Fleisch und/oder Milchprodukten in der Ernährung der Menschen. »Während die ersten Bauern der Linienbandkeramik ihren Nahrungsbedarf noch überwiegend über pflanzliche Proteine aus Getreide abdeckten, optimierten die nachfolgenden archäologischen Kulturen langsam und stetig ihre Viehwirtschaft, bis zum Beginn der Bronzezeit Fleisch und Milchprodukte in deutlich größerem Ausmaß auf dem Speiseplan standen«, erklären Münster und Alt.
Dabei fiel noch auf, dass vor allem die Männer und auch die Senioren beider Geschlechter in den Bauerngemeinschaften in allen Epochen mehr Fleisch zugeteilt bekamen als die anderen Mitglieder der Gesellschaft. Ebenso ist auffällig, dass die Entwöhnung der Kinder von der Muttermilch deutlich später stattfand als in heutiger Zeit. Zwischen 1 und 2 Jahren bekamen Kinder die erste feste Nahrung, wurden teilweise aber bis zum Alter von 3 bis 4 Jahren zusätzlich gestillt.
Die vorgelegte Betrachtung zur menschlichen Ernährung zwischen dem Beginn der bäuerlichen Lebensweise und der Frühbronzezeit im Mittelelbe-Saale Gebiet ist eine der umfassendsten bisher dazu vorgelegten Studien. Die zentrale Frage, ob sich das Konsumverhalten der Menschen im betrachteten Zeitraum verändert hat ist nachdrücklich zu bejahen. Unbestreitbar kam es während der Jungsteinzeit zu einer zunehmenden Stabilität in der Versorgung mit Fleisch und tierischen Sekundärprodukten. Die Dynamik in den Daten spricht insgesamt gegen eine einheitliche Versorgung der Menschen aller Teile der jeweiligen Bevölkerung mit Proteinen tierischer Herkunft, was frühe Prozesse der Spezialisierung, Individualisierung und Hierarchisierung zu erkennen gibt. »Die kontinuierliche Besiedlung Sachsen-Anhalts während des untersuchten Zeitraumes und die umfassende Ausgrabungstätigkeit der Archäologie machen solche Studien überhaupt erst möglich«, bemerkt Dr. Susanne Friederich, die von archäologischer Seite das Projekt federführend begleitet hat.
Publikation
4000 years of human dietary evolution in central Germany, from the first farmers to the first elites
PLOS ONE. 27.3.2018
DOI: 10.1371/journal.pone.0194862