In dem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) finanzierten Projekt »Vitruv und die Techniken des Raumdekors« erarbeitete die interdisziplinäre Forschergruppe zum einen eine Neuübersetzung der kunsttechnologischen Beschreibung aus Vitruvs »De architectura libri decem«, zum anderen wurden originale Putze auf ihre Zusammensetzung hin analysiert und in experimentellen Workshops nachgestellt. Die Ergebnisse werden Archäologen und Restauratoren in ihrer Arbeit einen großen Schritt nach vorne bringen. Für die Öffentlichkeit sind die Ergebnisse nun in der Ausstellung »Firmitas et Splendor« noch bis zum 17. August 2012 im Münchner Haus der Kunstinstitute, in praktischen Vorführungen und in einem Abschlusskolloquium zu sehen und zu erleben. Dort werden die Projektergebnisse anhand von Texten, Fotos, Filmen, Rekonstruktionen und antiken Originalen u. a. aus Pompeji dem Publikum präsentiert. Die Darstellung eines spannenden Zusammenspiels von philologischer Detektivarbeit, naturwissenschaftlicher Analyse und praktischem Umsetzen bildet den Kern der zahlreichen Exponate.
In den letzten drei Jahren haben sich Archäologen, Altphilologen und Restauratoren in das umfangreichste antike Werk über Architektur des römischen Architekten, Ingenieurs und Architekturtheoretikers Vitruv – auch bekannt als Vitruvius oder Marcus Vitruvius Pollio – vertieft. Dessen dem Kaiser Augustus gewidmete »Zehn Bücher über Architektur« lieferten direkte technische und ästhetische Anweisungen an die Baumeister der Zeitwende. In seinem siebten Buch erläutert Vitruv beispielsweise die seiner Meinung nach beste Gestaltung von Innenräumen in Privathäusern, insbesondere deren Wände. Die Forschergruppe untersuchte mit Hilfe von originalen antiken Wandputzen, inwieweit Vitruvs Anleitungen in Rom und den Städten am Vesuv befolgt wurden und in welchem Ausmaß sich die Ausführungen in Abschriften und Anwendungen bis in die Renaissance verfolgen lassen.
Aber die Wissenschaftler verblieben nicht nur in der Welt der theoretischen Forschung und Analyse. In praktischen Versuchen begaben sich die Forscher auf Vitruvs Spuren und experimentierten nach seinen Vorgaben, denn nicht alle lateinischen Fachbegriffe, die Vitruv benutzte, ließen sich problemlos übersetzen. So fanden im Fraunhofer-Zentrum für energetische Altbausanierung und Denkmalpflege Benediktbeuern Workshops statt, in denen die Forscher die Vitruv-Techniken und Materialkompositionen erprobten. Um eine perfekte Glättung der Putze zu erreichen, experimentierte die Projektgruppe mit Natursubstanzen wie Eiern oder Olivenöl, diskutierten und probierten die Wirkungen von Marmorsand oder Kluftcalcit und schreckten auch vor der Verwendung tierischer Produkte und einfacher Werkzeuge wie zum Beispiel Steine nicht zurück. »Es ist schön und bestätigt unsere Arbeit, dass wir dieses spannende Forschungsprojekt mit unserer Fachkompetenz in unseren neuen Räumlichkeiten in Benediktbeuern und mit der Kreativität unserer Mitarbeiter unterstützen und vorantreiben konnten«, freut sich Prof. Klaus Sedlbauer, Leiter des Fraunhofer IBP. Die gewonnenen Erkenntnisse beeinflussen sowohl Archäologen als auch Restauratoren in ihrer täglichen Arbeit und ermöglichen neue Einblicke in die Welt der Antike. So wird beispielsweise vermutet, dass die Qualität der Wandputze in antiken Privathäusern Aufschluss über den sozialen Stand der Bewohner gibt. »Die neuen, wiedergefundenen Rezepturen lassen uns den Glanz und die Perfektion antiker römischer Wandmalerei heute wieder erleben« sagt Ralf Kilian, Leiter der Arbeitsgruppe Präventive Konservierung und Denkmalpflege am Fraunhofer IBP.
Im Abschlusskolloquium am 13. Juli 2012 geben die Mitarbeiter des Fraunhofer IBP gemeinsam mit ihren Partnern Aufschluss über die verwendeten Materialien und Herstellungstechniken, die sie durch die Neuübersetzung der Vitruv-Schriften und die Befunduntersuchungen an antiken Bauten in Rom und Pompeji gewonnen haben. Darüber hinaus werden auch die Ergebnisse der Workshops vorgestellt.