Die Hauptautoren des Artikels sind Dr. Chris Baumann, der an den Universitäten Tübingen und Helsinki forscht, und Dr. Shumon T. Hussain von der Universität Aarhus sowie Professor Hervé Bocherens von der Universität Tübingen und dem Senckenberg Centre for Human Evolution and Palaeoenvironment. Die neue Studie wurde in der Fachzeitschrift Nature Ecology and Evolution veröffentlicht. In einer früheren Publikation, erschienen in Archaeological and Anthropological Sciences, hatte Chris Baumann bereits allgemein darüber berichtet, dass Belege für das Zusammenleben von Tier und Mensch tief ins Pleistozän zurückreichen und dass solche Beziehungen schon frühe Ökosysteme formten.
Ähnliches Nahrungsspektrum
Raben haben ein sehr breites Nahrungsspektrum, sind neugierig und zeichnen sich durch ein flexibles Verhalten aus. Ihre Knochen wurden in großer Zahl an den tschechischen Fundstätten Předmostí I, Pavlov I und Dolní Věstonice I entdeckt. "Die Anzahl an Rabenknochen aus den mährischen Fundstellen ist bemerkenswert und sicherlich ungewöhnlich für den Untersuchungszeitraum“, sagt Shumon T. Hussain. Daher vermuteten die Forscherinnen und Forscher, dass sich die Raben in der Nähe der Menschen aufhielten und möglicherweise von deren Anwesenheit profitierten. Das Forschungsteam untersuchte daraufhin die Knochen von zwölf Kolkraben mit naturwissenschaftlichen Methoden und rekonstruierte ihr Hauptnahrungsspektrum anhand der Analyse stabiler Stickstoff-, Kohlenstoff- und Schwefelisotope. "Diese altsteinzeitlichen Raben ernährten sich überwiegend von dem Fleisch großer Pflanzenfresser, häufig von Mammuts, ähnlich wie die damals lebenden Menschen", erklärt Chris Baumann. "Wir gehen deshalb davon aus, dass sie vor allem von Mammutkadavern in der Nähe von menschlichen Lagern angezogen wurden."
Das Verhalten der Tiere begann sich an dem der Menschen zu orientieren, sagt das Forschungsteam. "Für diese wiederum wurden die Vögel zu einem Bestandteil ihrer Erfahrungs- und Gedankenwelt. Die Menschen scheinen den Raben in ihre Kultur aufgenommen zu haben, wie unter anderem polierte Rabenknochen sowie die auffällig hohe Anzahl an Flügelknochen im Fundmaterial zeigen", sagt Hussain. Dies hatten bereits frühere Studien zu den Rabenknochen ergeben. Weitere umfassende Untersuchungen zur Evolution von Mensch-Tier-Beziehungen seien deshalb wichtig, um die frühen Ökosysteme von eiszeitlichen Jägern und Sammlern besser zu verstehen, sagen die Forscherinnen und Forscher. Sie bezeichnen das Verhalten der Raben als synanthropisch. Synanthropen sind wilde Tiere, die von einem mit Menschen geteilten Ökosystem profitieren.
Der Mythos von der unberührten Natur
"Vielfach wird angenommen, dass die frühen Menschen in und mit einer praktisch unberührten Natur gelebt hätten. Das ist jedoch sehr simplifizierend und so auch nicht richtig. Wir wissen inzwischen, dass Menschen durch ihr Verhalten Ökosysteme schon vor mindestens 30.000 Jahren beeinflussten und nachhaltig veränderten", sagt Chris Baumann. Essensreste der Menschen bildeten eine stabile Nahrungsbasis für kleine Aasfresser. Solche neuen Nischen seien mit der Zeit stärker beansprucht worden, sodass wiederum die Menschen diese Tiere leichter fangen und als Quelle für Fleisch, Fell und Federn nutzen konnten. Als Nachteil dieser Entwicklung könnten sich jedoch Zoonosen, also zwischen Mensch und Tier übertragbare Infektionskrankheiten, leichter ausgebreitet haben.
Publikation
Evidence for hunter-gatherer impacts on raven diet and ecology in the Gravettian of Southern Moravia
Nature Ecology and Evolution. 22.6.2023
DOI: 10.1038/s41559-023-02107-8
Publikation
The paleo‑synanthropic niche: a first attempt to define animal’s adaptation to a human‑made micro‑environment in the Late Pleistocene
Archaeological and Anthropological Sciences. 20.4.2023
DOI: 10.1007/s12520-023-01764-x