Die Herangehensweise war neu, weil erstmals Einflussfaktoren wie Geschwindigkeit, kinetische Energie und Eindringwinkel systematisch und reproduzierbar untersucht wurden. Die Ergebnisse belegen die Vermutung, dass die Bruchkanten prähistorischer Speerspitzen konkrete Hinweise auf das Jagdverhalten unserer Vorfahren geben können. "Die Zusammenarbeit mit einem Archäologen ist reizvoll. Wir freuen uns, wenn wir durch unsere Erfahrungen in der Physik auch zu Erkenntnissen in anderen Wissenschaftsgebieten beitragen können", sagt der Messtechniker Holger Schönekeß, der das Projekt in der PTB koordiniert.
Archäologen haben an vielen Stellen Knochenreste von Tieren gefunden – den Überresten zahlreicher Mahlzeiten. Den großen Beutetieren zwar körperlich unterlegen, war der Mensch bereits in seiner frühen Entwicklungsgeschichte offensichtlich ein erfolgreicher Jäger. Wie konnte ihm das gelingen? Einzige Überbleibsel damaliger Jagdwaffen, die heute noch untersucht werden können, sind Speerspitzen aus Stein oder Knochen. Unterstützt von den PTB-Wissenschaftlern, ließ Radu Iovita von MONREPOS (Archäologisches Forschungszentrum und Museum für menschliche Verhaltensevolution) daher tausend spezielle Glas-Abdrücke als identische Duplikate einer prähistorischen Feuersteinspitze anfertigen, befestigte sie an einem kurzen Schaft und beschleunigte sie mit einer Druckluftschussanlage auf definierte Geschwindigkeiten in ein Ziel. Die Eigenschaften des Ziels kamen denen eines Beutetieres ziemlich nahe: Die vordere Schicht bestand aus Leder, gefolgt von drei Zentimetern ballistischer Gelatine, einer sechs Millimeter dicken Platte aus Kunstknochen und weiterer Gelatine. Da die gefertigten Glasspitzen sehr ähnliche Eigenschaften besitzen wie die originalen Feuerstein-Speerspitzen, entsprechen die auf diese Weise erzeugten Spuren an den Duplikaten oftmals denen auf historischen Fundstücken. Somit konnte in einem ersten Ergebnis gezeigt werden, dass sich realistische Jagdspuren im Labor unter kontrollierten Bedingungen nachbilden lassen.
In einem zweiten Schritt gingen die Wissenschaftler auf die Suche nach den sogenannten Wallner-Linien – mikroskopischen Linien, die auf der ebenen Bruchoberfläche vorhanden sind und die durch eine Störung in der Ausbreitung der Bruchfront entstehen. Anhand der Wallner-Linien ist es möglich, die Geschwindigkeit der Bruchfront zu bestimmen und daraus auf die Aufprallgeschwindigkeit zurückzuschließen. Schon frühere Untersuchungen haben darauf hingewiesen, dass sich bestimmte Bruchgeschwindigkeiten an der Speerspitze konkreten Beanspruchungen zuordnen lassen. Sie zeigen an, ob die Waffe eher langsam, aber kraftvoll gestoßen, geworfen oder mit hoher Geschwindigkeit unter Verwendung eines Hilfsmittels geschleudert wurde. Doch überzeugend wissenschaftlich belegt waren diese Annahmen bisher nicht, da in früheren Studien viele Einflussfaktoren nicht berücksichtigt worden sind.
Die Untersuchungen von Radu Iovita und der PTB sollen diese Vermutungen nun untermauern und liefern darüber hinaus durch standardisierte Bedingungen und eine große Zahl von Wiederholungen die notwendige wissenschaftliche Überzeugungskraft. Eine Veröffentlichung in einem archäologischen Fachmagazin ist in Arbeit.