Steinzeit-Genome aus Zagrosgebirge zeigen verschiedene Abstammungslinien für Europäer und Südasiaten
Sesshaftigkeit, Ackerbau und Viehzucht kamen vor über 10.000 Jahren zum ersten Mal in einer Region zwischen Südostanatolien, Iran, Irak und Syrien auf, einer Region, die als der Fruchtbare Halbmond bezeichnet wird. Der Übergang von einem Lebensstil als Jäger und Sammler zu Sesshaftigkeit und Landwirtschaft wurde als solch radikale Veränderung der menschlichen Lebensform betrachtet, dass der Begriff »neolithische Revolution« dafür geprägt wurde. Etwa 2.000 Jahre später taucht die neue jungsteinzeitliche Lebensweise in Südosteuropa und kurz darauf auch in Zentraleuropa und im europäischen Mittelmeerraum auf.
Die neuen Studienergebnisse, dass die frühen Bauern aus dem Zagrosgebirge nicht die Vorfahren der ersten europäischen Bauern und auch nicht der heutigen Europäer sind, war für die Wissenschaftler eine Überraschung. »Wir waren sehr erstaunt über diesen Befund«, sagt Erstautorin Farnaz Broushaki von der JGU. »Erst vor Kurzem hat unser Team herausgefunden, dass die ersten europäischen Bauern eine nahezu ununterbrochene Ahnenkette bis zu den ersten Siedlern Nordwestanatoliens aufweisen. Jetzt sieht es ganz danach aus, dass diese Kette irgendwo im östlichen Anatolien abgerissen ist.«
Gemäß der kürzlich veröffentlichten Ägäis-Studie gelangten neolithische Siedler aus der Gegend um das nördliche Griechenland und das Marmarameer entlang einer Balkanroute nach Mitteleuropa. Etwa zur gleichen Zeit erreichten prähistorische Bauern aus dem ägäischen Raum auch über das Mittelmeer die iberische Halbinsel. Die Kolonisatoren brachten die sesshafte Lebensweise, landwirtschaftliche Praktiken und domestizierte Tiere und Pflanzen nach Europa.
Jetzt zeigt sich, dass eine der weltweit ältesten Bauernkulturen eine genetisch eigene Gruppe darstellt und nur ganz entfernt mit den ersten Bauern Westanatoliens und Europas in Beziehung steht. »Es ist interessant, dass genetisch so unterschiedliche Menschen, die sehr wahrscheinlich anders aussahen und eine andere Sprache hatten, die landwirtschaftliche Wirtschafts- und Lebensform in zwei verschiedenen Regionen Anatoliens und des Nahen Ostens entwickelten beziehungsweise annahmen«, sagt Prof. Dr. Joachim Burger, Seniorautor der Studie, mit einem Hinweis, dass sich die prähistorischen Bewohner des Zagrosgebirges vor über 50.000 Jahren von anderen Menschen Eurasiens abspalteten.
»Ex oriente lux« trifft nach den Erkenntnissen der Palaeogenetiker um Burger demnach in kultureller, nicht aber in genetischer Hinsicht zu. »Die neolithische Lebensform entsprang dem Fruchtbaren Halbmond, vielleicht sind ein paar neolithische Pioniere auch von dort aus gestartet, aber die Mehrheit der frühen Iraner ist nicht nach Westen gezogen, wie manche meinen«, erklärt Marjan Mashkour. Mashkour stammt aus dem Iran, arbeitet als Archäozoologe am Centre national de la recherche scientifique (CNRS) in Paris und hat die Studie zusammen mit Burger und ihrem Kollegen Fereidoun Biglari vom iranischen Nationalmuseum initiiert.
Die Jungsteinzeitpopulation aus dem Zagrosgebirge ist allerdings nach Osten gewandert. Die Wissenschaftler stellten anhand der Genomanalysen fest, dass diese Menschen die wichtigsten Vorfahren der heutigen Südasiaten sind. Viele Genomsegmente finden sich heutzutage bei Afghanen und Pakistani. Am ähnlichsten ist die 10.000 Jahre alte Erbsubstanz der Iraner aus dem Zagrosgebirge jedoch den Genen der modernen Zoroastriern aus dem Iran. »Diese religiöse Gruppe hat sich vielleicht weniger mit späteren Siedlungswellen vermischt und daher das genetische Erbe stärker bewahrt«, vermutet Broushaki.
Insgesamt deuten die zahlreichen Studien der Mainzer Palaeogenetiker darauf hin, dass zumindest zwei hoch unterschiedliche Gruppen die weltweit ersten Landwirte hervorbrachten: die Zagros-Population im östlichen Fruchtbaren Halbmond, Vorfahren der meisten modernen Südasiaten, und die ägäischen Bauern, die vor etwa 8.000 Jahren nach Europa migrierten. »Der Ursprung der Landbewirtschaftung und Viehhaltung ist genetisch gesehen komplexer als wir dachten. Anstatt von einem einzelnen neolithischen Zentrum zu sprechen, sollten wir daher besser die Idee einer »föderalen« neolithischen Kernzone aufgreifen«, fasst Burger zusammen.
Publikation
Farnaz Broushaki et al.
Early Neolithic genomes from the eastern Fertile Crescent
Science, 14. Juli 2016
DOI: 10.1126/science.aaf7943