Historische Schriften und Dokumente werden vermehrt digitalisiert, um sie sicher für die Nachwelt erhalten zu können. Denn nicht zuletzt Unglücke wie 2009 der spektakuläre Einsturz des Kölner Stadtarchivs haben hier den Druck erhöht. Für die Digitalisierung gibt es inzwischen gute und verlässliche Verfahren – doch wie können diese sogenannten Digitalisate von Philologen oder Historikern verarbeitet werden? »Das sind erst einmal nur Fotos, da lässt sich nichts suchen oder vergleichen. Wir entwickeln jetzt in Zusammenarbeit mit der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften eine Software, die den Nutzern eine echte Hilfestellung für ihre Forschung bietet«, erklärt Privatdozent Björn Gottfried vom Technologie-Zentrum Informatik und Informationstechnik der Universität Bremen. Er leitet das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) jetzt um zwei weitere Jahre verlängerte Projekt mit dem Titel »Diptychon«.
Nachdem es im ersten Schritt vor allem darum ging, mit Verfahren der Bildverarbeitung die visuelle Qualität der Dokumentbilder zu verbessern, soll im nächsten Schritt eine Software mit konkreten Hilfestellungen realisiert werden. »Die Vision ist, dass wir Handschriften exakt vergleichen können«, erklärt Gottfried. Eine Sammlung von Urkunden Kaiser Karls IV. (1316 bis 1378) bearbeitet er beispielhaft. »Da gilt es etwa Buchstaben und Wörter sicher zu entziffern oder nachzuweisen, ob eine Urkunde von einem oder mehreren Schreibern verfasst wurde. Vielleicht handelt es sich sogar um eine nachträgliche Fälschung.« Bisher argumentieren Historiker bei dieser detektivischen Arbeit eher subjektiv nach Ähnlichkeit und setzten auf ihre Erfahrung mit alten Handschriften. »Die Software vergleicht die Buchstaben und Wörter objektiv und visualisiert den Grad ihrer Übereinstimmung. Sie soll am Ende des Projekts dem Editor auch Argumente für Ähnlichkeiten und Unterschiede liefern können«, sagt Gottfried. Zudem möchte er mit der Software die Transkription von historischen Dokumenten mit einigen tausend Zeichen pro Seite über eine komfortable Suchfunktion, wie wir sie aus Textverarbeitungsprogrammen kennen, generell erleichtern.
Die Kooperation mit den Geisteswissenschaftlern der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften beschreibt Gottfried als einen beständigen Verständigungsprozess. »Wir sprechen verschiedene Sprachen. Deshalb ist der ständige Austausch wichtig, um Missverständnisse zu vermeiden. Doch insgesamt gibt es eine klare Annäherung und bei den Historikern ein Bewusstsein, dass unsere Arbeit mit Methoden künstlicher Intelligenz ihnen Nutzen bringen kann.« Für ihn ist das DFG-Projekt ein gutes Beispiel für den neueren Forschungsbereich Digitale Geisteswissenschaften.