Für Laien sind es geringfügige Farbunterschiede im Boden, für Grabungsleiter Christian Golüke umfassende Spuren der Besiedlung während der römischen Kaiserzeit: "Meist trafen wir auf einzelne Gruben und Pfostenlöcher. Das lässt sich an einer Stelle zu einem rechteckigen Hausgrundriss von etwa dreizehn mal sechs Metern rekonstruieren."
Die archäologische Fachfirma, bei der Golüke angestellt ist, führt die Grabungen am Baugebiet "Auf dem Bleck I" unter fachlicher Begleitung der LWL-Archäologie für Westfalen durch. Golüke fasst die weiteren Befunde zusammen: "Im Osten des Hausgrundrisses deuten Holzkohlereste auf die ehemalige Herdstelle hin. Zudem lassen die Verfärbungen an anderer Stelle sieben sogenannte Grubenhäuser in einheitlicher Bauweise vermuten." Grubenhäuser waren in den Erdboden eingetiefte Gebäude mit flacher Sohle als Nutzfläche, die meist für handwerkliche Arbeiten wie Weben oder Schmieden genutzt wurden.
Zwei Brunnen von mehr als drei Metern Tiefe und eine Schöpfstelle dienten nach den neuen Erkenntnissen der Wasserversorgung in der kaiserzeitlichen Siedlung. "Interessant war ein teilweise erhaltener Holzeinbau im Brunneninneren. Eine Altersanalyse mittels dendrochronologischer Untersuchung ergab, dass das jüngste Holz für die Brunnenauskleidung im Jahr 286 gefällt wurde", erklärt Golüke.
Auch zahlreiche Keramikscherben aus dem 2. bis 4. Jahrhundert untermauern die Datierung der Besiedlung aufgrund ihrer besonderen Verzierung und Machart. Scherben römischen Luxusgeschirrs (sog. Terra Sigillata) belegen die Handelsbeziehungen dieser Zeit.
"Der Fund der Gussform aus Buntmetall ist eine echte Besonderheit", betont Dr. Christoph Grünewald von der LWL-Archäologie. Mit der Form wurden Fibeln, also Gewandschließen gegossen, das dafür nötige Metall aus Brandschutzgründen am Rande der Siedlung in kleineren Öfen geschmolzen. "Funde dieser Art gibt es bisher in Deutschland ganze dreimal", so Grünewald. Bisher sind sich Fachleute uneins, wo solche Gewandschließen während der römischen Kaiserzeit hergestellt wurden - ob bei den Römern oder den Germanen.
Der Fund der Gussform untermauert nun die Annahme, dass diese Art Fibeln auch in Westfalen hergestellt wurden. Neben der Form fanden die Archäologinnen und Archäologen auch eine durchbrochene Zierscheibe, die zu einem römischen Pferdegeschirr gehörte. Ob sie tatsächlich einmal ein Pferd im damals noch nicht gegründeten Dülmen zierte, oder ob das Stück lediglich kaiserzeitliches Altmetall darstellt, lässt sich heute nicht mehr nachvollziehen.
Östlich des Siedlungsgebiets aus der Kaiserzeit befand sich ein Schotterweg aus mittelalterlichen Zeiten Dülmens, überdeckt von sogenanntem Plaggenesch. Die Plaggenwirtschaft, eine spezielle Bodenbewirtschaftung, kam vom Mittelalter bis in die Neuzeit hinein vor allem auf den sandigen Böden Nordwestdeutschlands zum Einsatz und trug zur Verbesserung der Bodenqualität bei.
In dieser Schicht zeichnen sich zudem Spuren von sogenannten Wölbäckern ab. Diese Ackerparzellen waren typisch für das Pflügen mit einem nicht wendbaren Pflug, der seit dem Mittelalter bis ins 18. und 19. Jahrhundert hinein in der Landwirtschaft Verwendung fand. Auch die jüngste Vergangenheit hat in Form von Bombentrichtern ihre Spuren vor Ort hinterlassen.
"Die Zusammenarbeit mit den Kolleginnen und Kollegen der Archäologie verlief sehr konstruktiv und unkompliziert. Wir freuen uns, dass nun die nächsten Planungsschritte zur Entwicklung des neuen Wohngebietes erfolgen können", sagt Jürgen Schmude, Leiter der Wirtschaftsförderung und des Grundstücksmanagements der Stadt Dülmen.
Nach Ende der Ausgrabungsarbeiten beginnt nun die wissenschaftliche Aufbereitung der Erkenntnisse. Grünewald: "Die Siedlungsfunde dieser frühen Zeitstellung sind bereits jetzt etwas Besonderes, weil sie so selten in diesem Raum sind."