Bei dem im Tal des Jordan nahe der Grenze zu Israel und zur West Bank gelegenen Siedlungshügel von Tell Abu al-Kharaz dürfte es sich um die in der Bibel genannte Stadt Jabesh Gilead handeln. Die Ergebnisse der von der schwedischen Jordanien-Expedition durchgeführten Ausgrabungen stützen die Theorie, dass Gruppen der ursprünglich aus Süd- und Osteuropa stammenden sog. Seevölker die östliche Mittelmeerregion bis hin zum Tal des Jordan besiedelten.
»Wir haben den Nachweis, dass Kulturelemente aus dem europäischen Raum in Tell Abu al-Kharaz vorhanden sind. In der Stadt siedelten die Philister, eine Gruppe der Seevölker mit europäischem Ursprung«, sagt Prof. Peter M. Fischer, der Leiter der Ausgrabungen. »Wir haben zum Beispiel Keramik gefunden, die in Form und Dekor Stücken aus Griechenland und Zypern entsprechen, ebenso wie zylinderförmige Webgewichte, die zur gleichen Zeit in Zentral und Südosteuropa benutzt wurden.«
Seit 1989 führten die schwedischen Archäologen in Tell Abu al-Kharaz 16 Ausgrabungskampagnen durch und legten dabei etwa 20 Prozent der bronze- und eisenzeitlichen Stadt frei. In die ältesten Schichten, die aus der Zeit um 3.200 v. Chr. stammen, drangen die Forscher dabei nur an wenigen Stellen vor - größtenteils wurden nur die oberen Schichten aufgedeckt. Die Siedlungsschichten bildeten sich über einen Zeitraum von etwa 5.000 Jahren. Während dieser Zeit erlebte die Stadt dreimal eine Blütezeit: Zwischen 3.100 und 2.900 v. Chr. während der Frühen Bronzezeit (EBA), dann ein weiteres mal zwischen 1.600 und 1.300 in der Späten Bronzezeit (LBA) und schließlich in der Eisenzeit zwischen 1.100 und 700 v. Chr.
Im Herbst 2013 legte das Team um Fischer, das aus Archäologen und Studenten aus Schweden, Österreich, Deutschland, Island, Polen, Schweiz und Jordanien bestand, bemerkenswert gut erhaltene Steinstrukturen frei. Darunter befinden sich Verteidigungsmauern, Gebäude und tausende vollständiger Objekte, von denen ein Teil aus lokaler Produktion stammt, während der andere Teil aus Südosteuropa importiert wurde.
»Was mich am meisten überrascht, ist die Tatsache, dass wir so viele Objekte gefunden haben, die aus großer Entfernung stammen. Das zeigt, dass die Leute schon vor tausenden Jahren sehr mobil waren«, stellt Fischer fest.
Zu den aufregenden Entdeckungen der letzten drei Grabungskampagnen gehört insbesondere ein ursprünglich zweigeschossiges Gebäude aus der Zeit um 1.100 v. Chr., dessen Mauern noch bis zu 2,5 m hoch erhalten sind. Bei der Errichtung des etwa 60 m langen Gebäudes nutzten die Erbauer auch Teile der älteren Stadtmauer, die aus der Zeit um 3.000 v. Chr. stammt. Diese lieferte Steine als Baumaterial und diente auch als solides Fundament für den Hausbau. In dem Gebäude fanden sich Keramikgefäße, die mit verschiedenen Pflanzensamen gefüllt waren.
»Eine unserer Schlussfolgerungen nach dieser Ausgrabung ist, dass die jordanische Kultur ganz klar eine mediterrane Kultur ist, obwohl das Land nicht direkt an das Mittelmeer grenzt. Es gab gut organisierte Gesellschaften in dieser Gegend, lange bevor die ägyptischen Pyramiden erbaut wurden«, sagt Peter M. Fischer.