Ein wenig erinnert sie an eine urtümliche Litfaßsäule: die etwa 1,50 Meter hohe Steinstele, die übersät ist mit hohen, aufrechten Schriftzeichen. Seit etwa 2.500 Jahren steht sie auf einem ehemaligen Marktplatz in der antiken Stadt Timna im heutigen Jemen. Der Wüstensand hat die in den Stein gehauenen Schriftzeichen über die Jahrtausende konserviert, so dass sie bis heute gut zu erkennen sind. Lesen und verstehen können die Texte, die das Markttreiben in der einstigen Hauptstadt des Königreichs Qataban regelten, heute dagegen nur noch eine Handvoll Menschen.
Zu ihnen gehört Dr. Giovanni Mazzini. Der Sprachwissenschaftler von der Universität Pisa ist Experte für Qatabanisch – einen Dialekt, der im antiken Südarabien gesprochen und geschrieben wurde. Derzeit arbeitet Dr. Mazzini als Gastwissenschaftler an der Friedrich-Schiller-Universität Jena und möchte während seines Forschungsaufenthaltes u. a. die Texte der Marktstele aus Timna entziffern. »Aus solchen Zeitzeugnissen können wir viel über das Leben und die Kultur der damaligen Zeit erfahren«, erläutert der Wissenschaftler.
Mit dem Jenaer Lehrstuhl für Semitische Philologie und Islamwissenschaft pflegt Dr. Mazzini bereits eine langjährige enge Zusammenarbeit. Gemeinsam mit dem Lehrstuhlinhaber, Prof. Dr. Norbert Nebes, und Kollegen des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI) in Berlin arbeitet der Wissenschaftler die Kultur der Städte entlang der antiken Weihrauchstraße auf. Finanziert wird der zweimonatige Aufenthalt von Giovanni Mazzini gemeinsam von DAI und Universität Jena.
Das antike Königreich Qataban erstreckte sich seit dem ersten Jahrtausend v. Chr. im Norden des heutigen Jemen. Neben dem Königreich Saba gehörte auch Qataban zu den hoch entwickelten Staaten im vorislamischen Südarabien. »Wie im Königreich Saba war es auch in Qataban üblich, Stadttore, Gebäude oder Tempelmauern mit monumentalen Inschriften zu versehen«, erläutert Mazzini. »Vor allem für die Öffentlichkeit relevante Texte, beispielsweise Gesetzestexte, wurden so für jedermann sichtbar gemacht«. Zum Glück, ergänzt der italienische Forscher, denn diese »Schriftstücke« liefern grundlegende Einblicke in die Rechtsauffassung der Zeit. »Gesetzestexte sind aber auch ein Abbild der Gesellschaft und der Kultur«, ist Mazzini überzeugt. Ihm geht es daher nicht allein darum, die wörtliche Bedeutung der Texte aufzuklären. »Genauso wichtig ist es, sie historisch und kulturell einzuordnen«, unterstreicht Mazzini.
Langfristig möchte der Sprachwissenschaftler, der bereits 2007 für einige Monate an der Uni Jena geforscht hat, weiter an den lexikografischen Grundlagen der qatabanischen Sprache arbeiten. Denn anders als für Sabäisch, das nicht zuletzt von Prof. Nebes und seinen Jenaer Kollegen intensiv erforscht wird, liegen für Qatabanisch bislang weder ein Wörterbuch noch eine umfassende Grammatik vor.