„Die bis heute überlieferte reiche archäologische Substanz der ehemaligen Reichsstadt kann so künftig bei Bauvorhaben Berücksichtigung finden und rechtzeitig von Seiten der Landesarchäologie in den Planungen zur Sprache gebracht werden", erläuterte der Tübinger Regierungspräsident. Das Werk fasse die bisherige archäologische und stadtgeschichtliche Forschung in Ulm zusammen und kennzeichne zugleich die archäologisch relevanten Bereiche innerhalb der Ulmer Altstadt.
Prof. Planck sagte: „Dieser Stadtkataster dokumentiert die über viele Jahrzehnte praktizierte intensive und vertrauensvolle Zusammenarbeit der Denkmalpflege insgesamt mit der Stadt Ulm, die nunmehr auf diesem Fundament weiter fortgesetzt werden kann." Die Untersuchung beschreibt die archäologischen Funde und Befunde und wertet die einschlägigen historischen Schrift- und Bildquellen, die Bauakten sowie die bisherige Forschungsliteratur aus. Ein eigenes Kapitel zieht eine Zwischenbilanz hinsichtlich der archäologischen Erkenntnisse zum Alltag im mittelalterlichen Ulm. Die Ergebnisse werden auf 350 Textseiten mit ca. 150 Abbildungen und auf farbigen Fachplänen, die ein eigenes Beiheft bilden, vorgestellt.
Prof. Planck erinnerte in seinen einführenden Worten an wichtige Stationen der archäologischen Erforschung im Altstadtgebiet von Ulm. Die Intensität dieser Tätigkeit mache nicht zuletzt der Archäologische Fundstellenkatalog des Stadtkatasters deutlich, der im Stadtgebiet etwas mehr als 400 Nummern verzeichnet. Mit den Anfängen der archäologischen Erforschung Ulms verbinde sich der Name Konrad Dietrich Hasslers, des ersten württembergischen Landeskonservators, der den beim Bahnbau 1857 entdeckten alamannischen Friedhof am Kienlesberg ausgegraben hat. Prof. Planck zufolge habe der Verein für Kunst und Altertum in Ulm und Oberschwaben von Anfang an großes archäologisches Engagement an den Tag gelegt, wobei das Interesse im Ulmer Raum zunächst aber der römischen Zeit gegolten habe. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts und vor allem in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen sei in Ulm eine archäologische Stadtgeschichtsforschung immer stärker in Erscheinung getreten. Aus der Zeit des Wiederaufbaus der kriegszerstörten Stadt stammten zahlreiche Befundaufnahmen von Albrecht Rieber, insbesondere auf dem Weinhof-Areal, und aus den späten 1960er Jahren auch die ersten Untersuchungen des damaligen Staatl. Amtes für Denkmalpflege auf dem Grünen Hof.
„Einen neuen Schub gibt es seit den 1980er Jahren, nachdem die Stadtarchäologie als denkmalpflegerische Schwerpunktaufgabe eingerichtet wurde", so Prof. Planck. Unter der Leitung von Judith Oexle, Andrea Bräuning, Marianne Dumitrache und Jonathan Scheschkewitz sind bis heute zahlreiche archäologische Untersuchungen durchgeführt worden. Ulm wurde neben Konstanz zu einem der zentralen Tätigkeitsfelder der Mittelalterarchäologie in Baden-Württemberg und die wissenschaftlichen Erträge der Grabungen, deren umfangreichste Kampagne in der Trasse der Neuen Straße stattfand, haben eine weit über den südwestdeutschen Raum hinaus reichende Beachtung gefunden. Gespannt warten Archäologen und Historiker nun auch darauf, zu welchen Ergebnissen die aktuellen Auswertungen der Großgrabung „Neue Straße" und die wissenschaftliche Aufarbeitung von Altgrabungen im Rahmen des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projektes mit dem Thema „Stadtwerdung Ulms" kommen werden.
In den Schriftquellen ist Ulm in der Mitte des 8. Jahrhunderts - damals als Ort einer königlichen Pfalz - erstmals bezeugt. Die sich hier andeutende zentralörtliche Funktion reichte sicher in alamannisch-fränkische Zeit zurück und hatte auch in den hochmittelalterlichen Jahrhunderten Bestand. Auf dieser Basis bildeten sich in Ulm frühstädtische Strukturen heraus, die schließlich in eine wohl von Kaiser Friedrich Barbarossa vollzogene formelle Stadterhebung mündeten. Ulm entwickelte sich zu einer der bedeutendsten Reichsstädte im oberdeutschen Raum. Die besondere politische und wirtschaftliche Rolle der spätmittelalterlichen Stadt hatte auch zur Folge, dass in Ulm zahlreiche herrschaftliche, kirchliche oder gewerbliche Einrichtungen entstanden sind, die fallweise, wie etwa das Münster, Teile der Stadtbefestigung oder der Salzstadel, bis heute das Stadtbild prägen. Dem trägt auch ein Inventar im Stadtkataster Rechnung, das unter der Überschrift Historische Topographie mehr als 300 Objekte historisch beschreibt und kartiert.
Das Kapitel Stadtbewertung unter archäologischen Gesichtspunkten stellt nach Auffassung von Dr. Andrea Bräuning, die namens der Autoren Aufbau und Inhalt des Werkes erläuterte, „gleichsam das Resümee der Untersuchung" dar, indem es die archäologisch relevanten Bereiche für die künftige denkmalpflegerische Betreuung der Altstadt Ulms festlegt. Auch wenn infolge der großen Kriegszerstörungen und auch der jüngeren flächigen Neubaumaßnahmen innerhalb der Altstadt immer wieder massive Verluste von Bodenurkunden zu beklagen waren, hat Ulm noch in vielen Bereichen seine im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit grundgelegte Straßen- und Quartiersstruktur, zahlreiche Dokumente seiner historischen Bebauung sowie ein dichtes archäologisches Potenzial bewahren können. Alle Redner bei der Vorstellung dieses Bandes sind überzeugt: „Auch dieser Archäologische Stadtkataster wird bei dem Bemühen, den historischen Quellenwert der innerstädtischen Flächen zu würdigen und die sichtbaren wie auch die im Boden tradierten Geschichtsdokumente an die Nachwelt zu vererben, qualifizierte Wegweisungen geben."
Über seine Funktion als Instrument für die Stadtplanung hinaus dient dieser Band als „aktuelle Standortbestimmung der archäologischen Forschung und zugleich als Grundlage für die künftige Ulmer Stadtgeschichtsforschung", betonten die Autoren. Zielgruppe des Archäologischen Stadtkatasters sind somit nicht nur Denkmalpflege und Planungsbehörden, sondern auch die stadt- und heimatgeschichtlich interessierte Bürgerschaft.
Der Band Ulm erscheint als Nr. 35 in der Schriftenreihe Archäologischer Stadtkataster Baden-Württemberg. Die Reihe wird vom Regierungspräsidium Stuttgart, Landesamt für Denkmalpflege in Esslingen, zusammen mit der jeweils bearbeiteten Stadt herausgegeben. Verfasst wurde der Band von den Archäologen Dr. Andrea Bräuning (Regierungspräsidium Freiburg) und Dr. Rainer Schreg (Römisch-Germanisches Zentralmuseum Mainz) sowie dem Ulmer Historiker Dr. Uwe Schmidt. Der Band kann bei der Stadt Ulm bzw. beim Landesamt für Denkmalpflege in Esslingen erworben werden.