Es ist noch nicht einmal ein Dreivierteljahr her, dass der damalige Generalsekretär der ägyptischen Altertümerverwaltung in Kairo Zahi Hawass zum wiederholten Male die Rückgabe der weltberühmten Nofretete an sein Land forderte. Und zum wiederholten Male wurde von deutscher Seite das Ansinnen abgewiesen. Nun hat Prof. Dr. Bénédicte Savoy, Kunsthistorikerin an der TU Berlin, einen Band vorgelegt, der bisher unbekannte historische Fakten und Hintergründe ans Licht bringt in diesem seit fast neunzig Jahren währenden Streit, ob den Deutschen oder den Ägyptern eine der schönsten Frauen der Welt gehört.
In „Nofretete. Eine deutsch-französische Affäre. 1912–1931", so der Titel des im Böhlau Verlag erschienenen Buches, legt Bénédicte Savoy die geschichtlichen Wurzeln des Streites frei. Diese fußen nach den Forschungen der Kunsthistorikerin in der deutsch-französischen Feindseligkeit während und nach dem 1. Weltkrieg. Savoy war vor zwei Jahren in den Pariser Archiven auf ein bislang unbekanntes Aktenkonvolut im Nachlass von Pierre Lacau gestoßen. Lacau leitete von 1914 bis 1936 die unter französischer Hoheit stehende Altertümerverwaltung in Kairo. Er war es, der 1925 als Erster die Deutschen aufforderte, Nofretete an den Nil zurückzubringen. Sein Motiv: ein tiefsitzender Hass auf die Deutschen, der so weit ging, dass er den Deutschen über Jahre die Erlaubnis für weitere Ausgrabungen in Ägypten verweigerte. Ohne die Rolle Lacaus sei nicht zu verstehen, so Savoy, warum die gleiche Behörde im Jahr 1913, allerdings unter der Leitung eines anderen Franzosen, offiziell die Ausfuhr der Büste nach Berlin erlaubt hatte, und warum dies zwölf Jahre später rückgängig gemacht werden sollte mit der fadenscheinigen Begründung, die französische Altertümerverwaltung sei von dem Ausgräber der Nofretete, dem deutschen Archäologen Ludwig Borchardt, über den wahren Wert des Gips- und Kalksteinkopfes getäuscht worden.
Aber Nofretete ist nicht nur Opfer der historischen Feindschaft zwischen Deutschland und Frankreich, sondern auch der Feindschaft zwischen Briten und Franzosen, wie Savoy anhand der Rivalitäten zwischen der französischen Altertümerverwaltung in Kairo und dem ansonsten unter britischer Militärverwaltung stehenden Ägypten zeigt.
All diese ausgeblendeten Aspekte führten dazu, so Bénédicte Savoy, „dass bis heute die Frage nach der (un)möglichen Rückgabe der Nofretete so emotional und sackgassenartig diskutiert wird". Das Buch versteht sich von daher als Beitrag zur historischen Transparenz und zur Versachlichung einer weitestgehend emotional geführten Diskussion. Entscheidend für Bénédicte Savoy ist jedoch die Frage nach der Verantwortung Europas im Umgang mit dem im 19. und 20. Jahrhundert erworbenen kulturellen Eigentum fremder Länder beziehungsweise der Restitution dieser Kulturgüter. Für Bénédicte Savoy ist dies eine der großen, zentralen Fragen des 21. Jahrhunderts.
Neben den drei historischen Kapiteln – Teilung der Amarna-Funde 1913, die Folgen des 1. Weltkrieges für die internationale Ägyptologie und die Rezeptionsgeschichte der Nofretete – ist das Kernstück des Buches eine kommentierte deutsch-französische Edition der bisher unberücksichtigten Akte „Tête de Nefertiti. 1925–1931" der französischen Altertümerverwaltung in Kairo. „Diese Dokumente führen die bisher unterschätzte französische Dimension des deutsch-ägyptischen Disputs um Nofretete eklatant vor Augen", schreibt Bénédicte Savoy in der Einleitung zu ihrem Buch.
Nofretete. Eine deutsch-französische Affäre 1912-1931
Bénédicte Savoy (Hg.)
Böhlau Verlag Köln Weimar Wien 2011
229 Seiten, zahlreiche Abbildungen
ISBN 978-3-412-20811-0