Beim Bau einer Tiefgarage fanden sich mehrere Meter unter dem Straßenniveau Überreste einer vor den Toren des ehemaligen Reiterkastells gelegenen römischen Zivilsiedlung aus dem 2. und 3. Jahrhundert n. Chr. Dank der guten Zusammenarbeit mit dem Bauträger, der Bauleitung bzw. den ausführenden Baufirmen können die Archäologen seit Ende Oktober Mauerzüge, Brunnen und Zisternen einer der bedeutendsten, aber gleichzeitig auch am wenigsten bekannten Ansiedlungen der Römerzeit im Land dokumentieren.
Im Rahmen der vorbereitenden Erdarbeiten stieß ein Baggerführer der ausführenden Baufirma am Dienstag, den 28. Oktober 2008, mehrere Meter unter dem heutigen Straßenniveau auf archäologische Funde. Daraufhin benachrichtigte die Bauleitung umgehend die zuständigen Denkmalschutzbehörden. Dem raschen Handeln ist es zu verdanken, dass ein Großteil der angetroffenen Bodenfunde vor seiner unwiederbringlichen Zerstörung durch die Baumaschinen dokumentiert und geborgen werden konnte.
Die noch laufenden Ausgrabungen an der Essener Straße erbrachten bislang den Nachweis ziviler Wohn- und Wirtschaftsgebäude aus dem 2. und 3. Jahrhundert. Vermutlich handelt es sich dabei um die Reste von sogenannten Streifenhäusern, also langrechteckigen und giebelständigen Fachwerkbauten, die entlang der rückwärtigen Ausfallstraße aus dem Reiterkastell nach Walheim standen. Die hier ansässigen Händler und kleinen Handwerksbetriebe lebten vermutlich von den Soldaten der Garnison und den Reisenden entlang der Fernstraße. Bislang konnten Ofenanlagen, Brunnen und Zisternen dokumentiert werden, aus denen große Mengen römischer Keramik geborgen werden konnten.
Die Fundstelle ist Teil der ausgedehnten römischen Zivilsiedlung von Bad Cannstatt. Nach der Anlage eines über 3,5 Hektar großen Reiterkastells zur Überwachung des Neckarlimes entwickelte sich das römische Cannstatt etwa ab dem Jahr 100 n. Chr. zu einem der wichtigsten Straßenknoten in Süddeutschland. Während der römischen Epoche unseres Landes lief durch Cannstatt nahezu der gesamte Fernverkehr vom Rhein an die Donau. Auch die reichen Mineralwasserquellen dürften während der knapp zweihundert Jahre nachweisbaren antiken Besiedlung bereits genutzt worden sein.
Erste Hinweise auf die römische Vergangenheit der Stadt gibt es bereits seit dem 16. Jahrhundert. Auch aus dem Bereich rings um die ehemaligen Reiterkasernen sind insbesondere zu Beginn des 20. Jahrhunderts Funde bekannt geworden. Dennoch sind bis heute viele Fragen zur Frühgeschichte Cannstatts offen, da weite Bereiche des antiken Siedlungsgebietes bereits im Mittelalter überbaut wurden und für die archäologische Erforschung nicht mehr zur Verfügung stehen. So ist neben Fragen zur Ausdehnung und Entwicklung der römischen Siedlung insbesondere ihr Schicksal am Ende der Limeszeit und die frühmittelalterliche Besiedlung nahezu völlig unbekannt. Umso wichtiger ist daher die Möglichkeit, die wenigen verbliebenen Restflächen zu untersuchen. Dies konnte im Rahmen der gegenwärtigen Baumaßnahme geschehen.
Die Grabungen können in den nächsten Tagen erfolgreich abgeschlossen werden, so dass das Bauvorhaben ohne Einschränkungen weitergeführt werden kann.