Sprecher des neuen Verbunds ist Professor Mischa Meier vom Tübinger Seminar für Alte Geschichte. Antragsteller waren zudem die Professoren Steffen Patzold und Sebastian Schmidt-Hofner aus dem Fachbereich Geschichtswissenschaft. »Die neue Kolleg-Forschergruppe wird eine historische Epoche beleuchten, die traditionell als »Völkerwanderung« zusammengefasst wird«, erklärte Meier: »Dieser Begriff bezog sich traditionell auf die Wanderbewegungen germanischer Bevölkerungsgruppen in Spätantike und frühem Mittelalter.« Im Fokus der Forschung hätten dabei lange Aspekte wie Kriegs- und Beutezüge oder auch die ethnische Zugehörigkeit und Identität der historischen Akteure gestanden. »Der neue Forschungsverbund will diese Perspektive erweitern, indem wir Mobilität und Migration als soziale Phänomene in den Mittelpunkt stellen«, erklärt Meier. »Wir werden uns mit verschiedensten, auch alltäglichen Formen der Migration befassen, sei es von Einzelpersonen oder von unterschiedlichen sozialen Gruppen wie Landarbeitern, Geistlichen oder Händlern.«
Zudem werden die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler den Untersuchungszeitraum ausweiten, von 250 bis um 900 nach Christus. »Traditionell wird unter dem Begriff Völkerwanderungszeit die Epoche zwischen dem Einfall der Hunnen in Europa im Jahre 375 und dem Einmarsch der Langobarden in Norditalien 568 nach Christus verstanden«, erklärt Meier: »Es spricht aber vieles dafür, einen deutlich längeren Zeitraum zu betrachten, denn mit dem Jahr 568 kam es ja nicht plötzlich zu einem Stillstand der Migration.« Für die Analysen werde man auf Forschungsansätze und -theorien der Soziologie zu Mobilität und Migration in heutigen Gesellschaften zurückgreifen. Die Ergebnisse wiederum könnten auch in die Modellbildung anderer Disziplinen einfließen, sagt Meier. So könne die Kolleg-Forschergruppe einen eigenen Beitrag zu einem Phänomen leisten, das auch heute hochaktuell sei. Beispielsweise wollen die Wissenschaftler die Wanderbewegungen agrarischer Arbeitskräfte untersuchen ‒ ein Massenphänomen dieser Zeit, das die damaligen Eliten aus Furcht vor Arbeitskräftemangel zu unterbinden versuchten. Die Auswirkungen dieser Mobilität auf lokale Gesellschaften will der Forscherverbund historisch vergleichend analysieren.
Kolleg-Forschergruppen der DFG sind speziell auf geisteswissenschaftliche Arbeitsformen zugeschnitten und darauf bedacht, Austausch und Freiräume zu ermöglichen. So können ausgewiesene Wissenschaftler für ihre Forschung am Projekt freigestellt und mit einem Fellow-Programm Kolleginnen und Kollegen aus dem In- und Ausland eingeladen werden. Die Verbünde können zweimal für die Dauer von je vier Jahren gefördert werden.