Genau das ist das Ziel der aktuellen Ausgrabungen am Westtor des Halterner Römerlagers. Hier soll in den nächsten Monaten und Jahren das Lager, bei dem es sich nach der Meinung vieler Wissenschaftler um das berühmte Aliso handelte, Stück für Stück in Teilen wieder auferstehen. Damit die Rekonstruktionen im geplanten »Römerpark Aliso - archäologische Baustelle« möglichst originalgetreu werden, dokumentiert das bis zu 15köpfige Team um Grabungsleiterin Bettina Tremmel schon seit April die wissenschaftliche Basis für die Nachbauten. Inzwischen sind die Archäologen 100 Meter nördlich des bereits 1971 ausgegrabenen Westtores des Römerlagers in jene Erdschichten vorgedrungen, in der die Römer sicht- und fassbare Spuren hinterlassen haben.
Dabei muss der Laie manchmal genau hinsehen, um das zu erkennen, was wichtige wissenschaftliche Erkenntnisse vermittelt. Von den Pfostenpaaren, die von den römischen Legionären alle drei Meter in den Boden eingetieft wurden, sind heute nur noch dunkelbraune Bodenverfärbungen zu sehen. »Im Schnittprofil sind diese dunkleren Spuren die einzigen Hinweise auf das vergangene Holz der Pfosten«, erläutert Bettina Tremmel. Die Römer gingen auf Nummer sicher: Sie verankerten die Pfosten in quadratischen Postengruben, die mit einem mal einem Meter sehr groß waren.
Vier Pfostenpaare fielen den Ausgräbern besonders ins Auge, weil sie außerordentliche Maße aufwiesen. Die Gruben für die Holzpfosten reichen heute von der Grabungsfläche aus noch 1,20 Meter tief in den Boden und sind zu römischer Zeit wahrscheinlich in mindestens 1,60 Meter Tiefe eingegraben worden. Diese Pfosten sind bereits 1971 dokumentiert worden. Sie waren das Fundament für einen der »Aussichtsstürme«, die in regelmäßigen Abständen in der Befestigung errichtet wurden, um die Umgebung und mögliche feindliche Bewegungen im Blick zu behalten. Das jetzt wiederentdeckte Exemplar war wahrscheinlich 6 Meter hoch und hatte eine Aussichtsplattform ohne Überdachung.
In der Halterner Erde dokumentieren die Archäologen aktuell außerdem zwei mächtige Wehrgräben. Sie waren 4,5 und 4 Meter breit und reichten V-förmig rund 2,5 Meter tief in den Boden. Die sogenannten Spitzgräben sorgten dafür, dass Angreifer es alles andere als leicht hatten, das Römerlager einzunehmen. Hinzu kommt, dass zusätzlich noch ein drei Meter hoher, verschalter Wall den Angriffsweg erheblich versperrte. Ein ausgeklügeltes Befestigungssystem, das Wirkung zeigte. Es hinderte die Germanen jedoch nicht daran, die Römer im Lager Aliso lange Zeit zu belagern. Sie hatten jedoch keinen Erfolg, wie die antiken Quellen eindrucksvoll belegen.
Interessante Hinweise auf das Alltagsleben der römischen Soldaten liefert eine weitere Verfärbung im Boden. Sie reicht zwei Meter in die Tiefe. »Dabei handelt es sich vermutlich um eine Zisterne, in der Regenwasser als Brauchwasser gesammelt wurde«, schildert Bettina Tremmel. Außerdem sicherte das Grabungsteam zwei in den Boden eingetiefte Feldbacköfen, in denen sich die Soldaten frische Verpflegung zubereiteten.
Die Halterner Ausgrabung zieht übrigens auch beim wissenschaftlichen Nachwuchs weite Kreise. Neben Studenten der Universitäten aus Bochum und Frankfurt sind auch angehende niederländische Archäologen von der Universität in Deventer als Praktikanten an den Forschungen beteiligt. Sie alle nutzen die Semesterferien, um in Haltern nicht einfach nur wichtige Techniken zu lernen, die oft nicht auf dem universitären Lehrplan zu finden sind. Haltern ist in der Archäologie eine über die deutschen Grenzen hinaus bekannte Ausgrabungsstätte, auf die sich viele Forschungsfragen konzentrieren - nicht zuletzt die noch immer rege diskutierte Frage, ob sich hier das antike Aliso befunden hat. Seit über 110 Jahren wird hier ausgegraben - auch später namhafte Archäologen haben sich hier ihre ersten Sporen verdient.