Leider fehlte es Rosebrock 1948 an Grabungserfahrung und Ausrüstung; die wichtige Entdeckung konnte daher kaum dokumentiert werden. Trotz dieser widrigen Umstände wurden weitere Knochen und auch botanische Reste wie Kiefernzapfen geborgen, die die Fundschicht – dank exzellenter Erhaltungsbedingungen – lieferte. Die Überreste von Tieren wie Schildkröte und Waldelefant wiesen eindeutig auf einen Zusammenhang mit der sogenannten Eem-Warmzeit hin.
Für die Entdecker bestand kein Zweifel, dass die Elefantenreste mit der Holzlanze von einem erfolgreichen Jagdereignis zeugten. Doch später wurde das Bild des Neandertalers als Großwildjäger infrage gestellt. Dies war der Ausgangspunkt für ein Projekt von Frauke Müller, Leiterin des Historischen Museum Domherrenhaus in Verden, und Thomas Terberger vom Niedersächsischen Landesamt für Denkmalpflege und der Universität Göttingen. Im Jahr 2023 begann eine systematische Durchsicht der Funde durch den Archäozoologen Ivo Verheijen. Die Bestandsaufnahme bestätigte die große Bedeutung der Funde. Zugleich wurde nach über 75 Jahren die Notwendigkeit einer neuen fachgerechten Restaurierung deutlich.
Mit finanzieller Unterstützung des Landes im Rahmen der Initiative Pro*Niedersachsen werden die Funde nun von einem Expertenteam mit modernster Technik neu untersucht und restauriert. Frauke Müller freut sich über das Projekt: »Mit dieser Kooperation und der Unterstützung des Niedersächsischen Ministeriums für Wissenschaft und Kultur können die bedeutenden Lehringer Funde für die kommende Generation gesichert werden«. Die örtliche Landtagsabgeordnete Dörte Liebetruth hebt hervor: »Die Ergebnisse zu Lehringen bieten die Chance, das Museum auch zu einem Lernort zu entwickeln. 120.000 Jahre Klimawandel stehen 120 Jahren menschengemachtem Klimawandel gegenüber.« Verdens Bürgermeister Lutz Brockmann zeigt sich begeistert: »Mit dieser beispielgebenden Kooperation erhalten die Lehringer Funde den Stellenwert, den sie als herausragendes Zeugnis der menschlichen Evolution und wichtiges Klimaarchiv der Zeit vor 120.000 Jahren verdienen«. Dass es schon zu Zeiten der Jäger und Sammler viel menschliche Aktivität auf dem Gebiet des heutigen Landkreises Verden gab, hängt wohl auch damit zusammen, dass »jeder, der an die Küste wollte, schon immer unsere Region durchqueren musste«, fühlt sich Landrat Peter Bohlmann bestätigt.
Bereits jetzt hat die Untersuchung der Lehringer Funde spannende neue Resultate geliefert. »Wir danken Minister Falko Mohrs und dem Land Niedersachsen für die großzügige finanzielle Förderung, die es uns ermöglicht, die Fundstelle Lehringen stärker in das Bewusstsein der internationalen Wissenschaft und der niedersächsischen Öffentlichkeit zu bringen«, sagt Projektleiter Thomas Terberger. Museumsleiterin Frauke Müller ergänzt: »Die Forschungen werden es uns ermöglichen, die Funde mit neuesten Ergebnissen museal zu präsentieren«. Beide sind sich sicher, dass am Ende auch die Frage beantwortet werden kann, ob der Neandertaler von Lehringen ein Großwildjäger war.