Wer schon einmal Muscheln und Gehäuse am Strand gesammelt hat, weiß, dass diese oft nicht mehr gänzlich unversehrt sind. Manchmal sind kleine Stücke herausgebrochen, manchmal weisen sie ein oder mehrere Löcher auf. Diese sind meist durch natürliche Prozesse entstanden. Bei einem archäologisch relevanten Fund stellt sich deshalb besonders die Frage, ob Perforationen in solchen Schalen willentlich oder lediglich natürlich hervorgerufen wurden.
Vor genau dieser Herausforderung – der Bestimmung des menschlichen Handelns – stand Marjolein D. Bosch vom Österreichischen Archäologischen Institut ÖAW. Die Forscherin wollte beweisen, dass über 400 Stücke der spindelförmigen Gehäuse von Meeresschnecken der Spezies Columbella rustica aus dem frühen Jungpaläolithikum, die am archäologischen Fundplatz Ksâr 'Akil im Libanon entdeckt wurden, bewusst durchlöchert worden waren, um aus ihnen Schmuck herzustellen.
"Diese Zweckwidmung wurde schon lange vermutet, jetzt wollte ich es untersuchen und wissenschaftlich belegen", erklärt Bosch. Dafür sammelte die gebürtige Niederländerin am Strand im spanischen Teneriffa Gehäuse der Spezies Columbella adansoni, welche jenen von Ksâr ‘Akil sehr ähnlich sind. Vor allem teilen sie – das für die Untersuchung notwendige – allgemeine Verteilungsmuster der Schalendicke.
"Zuerst wurden mit Hilfe von Mikro-CT-Scans unberührte Schalen auf robuste und zerbrechliche Zonen gescannt. Im Anschluss haben wir 3D-Modelle der Schalen angefertigt, diese zeigten die genaue Struktur der verschiedenen Muscheln, also wo diese dünner oder dicker waren", sagt Bosch. Ausgehend von den Modellen konnte nun erfasst werden, an welchen Stellen sich die Perforationen befanden. Das Ergebnis: "Bei den von mir gesammelten Gehäusen vom spanischen Strand traten die überwiegende Mehrheit der Perforationen in strukturschwachen Zonen auf", erläutert die Expertin. "Bei unseren archäologischen Funden hingegen, fanden wir eine höhere Häufigkeit von Perforationen in robusteren Zonen und eine höhere Einheitlichkeit in ihrer Lage, Größe und Form."
Daraus lässt sich klar der Schluss ziehen, dass die Schneckengehäuse einerseits bewusst ausgewählt und andererseits im Zuge eines geplanten Herstellungsprozesses perforiert wurden, um sie danach an Ketten oder Kleidung aufzuhängen. "Diese Schnecken sind zu klein, um sie zu essen, sie wurden also aus anderen Gründen gesammelt und an die Fundstelle gebracht. Außerdem weist die Standardisierung von Perforationsform, -größe und -verteilung auf formalisierte Herstellungsprozesse hin", betont Marjolein D. Bosch, deren Untersuchungsergebnis kürzlich auch im "Journal of Archaeological Science: Reports" publiziert wurden.
Wozu aber sind diese Schmuckstücke verwendet worden? Auch damit hat sich die Forscherin auseinandergesetzt. "Da diese keinem Zweck, wie Lebensunterhalt oder Werkzeuggebrauch gedient haben, gehen wir davon aus, dass sie 'symbolisch' waren", meint Bosch. Also eine symbolisierte Bedeutung hatten, die von vielen Menschen verstanden wurde – eine Art gemeinsame Sprache. So könnte es sich wahrscheinlich um eine Kennzeichnung von Gruppen handeln: man zeigt mit Schmuck an, woher man kommt und wohin man gehört. In diese Richtung will Bosch in Zukunft weiterforschen, aber auch die Art der Aufhängung mittels Gebrauchsspurenanalyse zu untersuchen steht am Plan der Wissenschaftlerin.
Publikation
Perforations in Columbellidae shells: Using 3D models to differentiate anthropogenic piercing from natural perforations
Journal of Archaeological Science. 16.3.2023
DOI: 10.1016/j.jasrep.2023.103937